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steuer, die sozialistischen, wenn nicht marxistischen Charakter trügen.294
Trete in Europas Wirtschaftspolitik nicht ein die Weltwirtschaft mitberück-
sichtigender Gesinnungswandel ein, drohe dem Kontinent eine gefährliche
Marginalisierung.295
Die Kritik an der einseitigen Ausrichtung auf rein Körperliches auf Kos-
ten des Geistes mit ihren politischen Implikationen kehrte 1931 im NR in
einem Beitrag über nationalsozialistische Schulpolitik wieder, für die ein
gesunder Körper das wichtigere Erziehungsziel war als geistige Bildung.296
Guido Zernatto führte den Diskurs über die Überbewertung des Körperli-
chen auf der philosophischen Ebene: Sie stehe für die Überzeugung, dass
mit dem Tod alles ende; unmäßiger Lebenshunger sei Ausdruck von Todes-
angst.297
An dieser Stelle wird der Kulturbegriff Leopold von Andrians aktuell,
nämlich die „Veredelung kollektiver Naturhaftigkeiten“ einschließlich der
von den Vorfahren ererbten Lebensbedingungen. Kultur und Natur flössen
ständig ineinander über.298 Rudolf Henz sprach von Pflege und Veredelung
all dessen, „was irgendwie der menschlichen Beeinflussung unterliegt, also
die Natur, [...] der menschliche Geist und schließlich der Charakter“.299 Für
Georg Baumgartner sollte Kultur „volle rückhaltlose Anerkennung der Na-
tur“ sein, „ein freudiges Jasagen zu den gegebenen Seinsrealitäten“.300 Guido
Zernatto nannte die Kultur „ein Zwischenreich. [...] eine Welt über der Welt
und doch kein Jenseits, sondern aus der Welt genommen und auf sie be-
zogen“, einen Versuch „der Menschheit, sich mit irdischen Mitteln zu erlö-
sen“301, eine Weltidee, die der menschlichen Existenz einen höheren Sinn
verleihe, indem sie sie über die animalische Bestimmung der bloßen Erhal-
tung des nackten Lebens hinaushebe.302 Josef Bick, der mit Kunst und Lite-
ratur in täglicher Berührung stehende Direktor der Österreichischen Natio-
294 SZ 29. 4. 1934 (R. KerschaGl).
295 SZ 29. 3. 1936 (R. KerschaGl).
296 NR 12. 9. 1931 (Z. fischer OFM).
297 Zernatto, Vom Wesen, 153; es dürfte kaum statthaft sein, die Bedeutung des Turnunter-
richts in den österreichischen Schulen in den dreißiger Jahren in der Weise zu betonen,
wie es kürzlich unter Berufung auf selektiv ausgewählte Quellen geschehen ist; Gober,
Schule, 115–129; die Sportpolitik des Ständestaates betraf vor allem den außerschulischen
Bereich, wobei man sich teilweise unter Zugzwang aus Deutschland wähnte; marschiK,
Turnen, passim.
298 v. andrian, Oesterreich, 145–147; vgl. CS 28. 2. 1937, 190 f. (W. breitenfeld); dorowin,
Retter, 98.
299 venus, Rudolf Henz, 11.
300 baumGartner, Arbeit und Erwerb, 35.
301 Zernatto, Vom Wesen, 139 f.
302 Zernatto, Vom Wesen, 143.
5.4 LEBEN UND GEIST 241
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580