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Für Richard Schmitz war die „Autorität der Persönlichkeiten“ ein gültiger
Ersatz für ein „uneiniges Parlament“.494 Daher unterstützte er in der Mi-
nisterratssitzung vom 12. März 1934 Otto Ender, der sich im Rahmen der
Verfassungsdiskussion dagegen aussprach, für den Bundestag Ersatzmän-
ner vorzusehen: Im Kreis der Personen, die Verantwortung trügen, dürfe es
möglichst wenig Wechsel geben; der Bundestag sei ein auf Persönlichkeiten
eingestelltes Gremium.495 1935 berichtete Ender, bei den im Sommer 1933
angestellten Überlegungen zu einer neuen Verfassung habe man auch die
Einführung einer ersten Kammer in Erwägung gezogen, die die kulturellen
und politischen Interessen der Bevölkerung wahrnehmen sollte. Dass man
hierbei an Einmannwahlkreise dachte, begründete er so: „Dieses System
liefert qualifizierte Menschen. Es schiebt die Verantwortung der Menschen
mehr in den Vordergrund.“496 Im weiteren Sinn ist hier auch Otto von Habs-
burgs Kritik am Listenwahlrecht der Kelsen’schen Verfassung angesiedelt:
Hätte man das Persönlichkeitswahlrecht eingeführt, so seine Überzeugung,
wäre die Geschichte anders verlaufen.497
Die in katholisch-konservativen Kreisen verankerte hohe Veranschlagung
der Gemeinschaft legte es nahe, den Standort des Einzelnen innerhalb der-
selben genau zu verorten. Robert Krasser ging davon aus, dass „in der un-
verrückbaren Rangordnung der Werte“ die „Seinsvollendung“ höher stehe
als die „Seinsanlage“: Daher glaubte er seiner Disziplin, der Pädagogik, das
Recht zugestehen zu dürfen, individuelle Ansprüche zwar zu achten, aber
auch in ihre Grenzen zu verweisen.498
Richard Meister setzte den Akzent stärker auf die Freiwilligkeit: Die
Glieder der Gemeinschaft beteiligten sich mit innerer Anteilnahme, gleich-
sam total, indem sie die Tätigkeit als Dienst an der eigenen Sache auffass-
ten.499 Zwischen der Gesellschaft und ihren Gliedern bestehe eine so enge
Wechselwirkung, dass keiner die ihn umgebende Kultur ignorieren dürfe.
Im Gleichklang mit Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi500 Erziehung
und Unterricht nicht trennend, zitierte er den Philosophen Friedrich Daniel
Schleiermacher mit der Formulierung, Erziehung sei sowohl ein „Heraus-
bilden der Eigentümlichkeit“ als auch ein „Hineinbilden in die Komplexe
der menschlichen Verhältnisse“.501 Es treffe keineswegs zu, wie die Gegner
494 CS 16. 12. 1934 (R. schmitZ).
495 PMR VIII/6, Nr. 929/2, 127.
496 Zit. nach wohnout, Verfassungstheorie, 132.
497 waltersKirchen, Dollfuß, 46.
498 Krasser, Ständestaat, 13.
499 meister, Das Verhältnis, 49; meister, Humanismus, 41.
500 coudenhove-KalerGi, Ethik, 143.
501 meister, Humanismus, 168.
5.5 PERSÖNLICHKEIT UND GEMEINSCHAFT 261
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580