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benssituationen als wünschenswert.559 Nicht zuletzt konkretisiere sie sich
als Diskretion; hierbei umschrieb er indirekt den Begriff „Kritik“ in seinem
ursprünglichsten Sinn. Die Grundlage fand er in dem aus der antiken und
christlichen Philosophie „mit ihrer feinen Denkmethode“ geläufigen Prin-
zip Qui bene distinguit, bene docet: „Die Welt der Wahrheit ist die Welt der
Nuancen. Wer schauen will, dem muss seine mit dem Diamanten der Dis-
tinktion die Probleme zerteilende Hand vorgearbeitet haben.“ Aus dieser
Überzeugung ergab sich für ihn: „Wie im Moralischen Hochmut, liegt im
Intellektuellen Unnuanciertheit, Mangel an Unterscheidungskunst, jeder
Häresie zugrunde.“560
Bei mehreren Mandataren kommen die Begriffe „Hingabe“ und „Demut“
nicht explizit vor, wohl aber das Bekenntnis zu wichtigen damit verbunde-
nen Aspekten. Erich Braumüller-Tannbruck nannte als eines der markan-
testen Kennzeichen des Österreichers „Selbstaufopferung“561; für Johannes
Messner und Ulrich Ilg kam diese Haltung im Prinzip der Ehrenamtlich-
keit zum Ausdruck.562 Clemens Holzmeister, der Architekt, bemühte sich
bei seinen Bauten um „Einordnung und Einklang mit Stadtbild und Land-
schaft“563; allen seinen Werken, erklärte er, sei „der Stempel des Dienens
aufgedrückt“.564 Walter Adam forderte die Hintanstellung persönlicher Wün-
sche in Notzeiten zugunsten des Dienstes an der Sache.565 Johann Staud
setzte den Gedanken des Dienstes mit dem des Berufs gleich; jede Arbeit
dürfe „nicht allein vom Erwerbsstandpunkt“, sondern müsse „vom Dienstge-
danken an einer Gemeinschaft: Familie, Betrieb, Berufsstand und Volk auf-
gefasst werden“.566 Philipp Bugelnig sah hier den eigentlichen Wesenskern
der ständischen Ordnung.567
Dialogfähigkeit und Respekt
Gemäß dem Wesen menschlicher Individualität als unverwechselbares,
nicht ersetzbares Selbstsein erfordert das Bekenntnis zur Gemeinschaft die
559 v. andrian, Ständeordnung, 41.
560 v. andrian, Ständeordnung, 210.
561 braumüller-tannbrucK, Ostarrichi, 4.
562 Klose, Berufsständische Ordnung, 202; vgl. auch ilG, Uns alle, 42.
563 holZmeister, Architekt, 37.
564 holZmeister, Architekt, 271.
565 adam, Staatsprogramm, 147, 149.
566 staud, Berufsauffassung, 6.
567 buGelniG, Der Ständestaat, 53; vgl. auch orel, Ständeordnung, 14 f.
5. DER MENSCH IST
PERSON268
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580