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Entfaltung eines Dialogs.568 Rudolf Henz beklagte sich noch 1963 über jene
Verweigerer desselben, „denen die Welt nicht schwarzweiß genug sein kann.
Der Christ sieht nicht nur die Endzeit vor sich, das wäre billig, sondern eine
sehr komplizierte Zeit. Er steht immer dazwischen [...]. Eine undankbare
Stellung, für mich aber die einzig mögliche.“569 Richard Meister, der Philo-
loge, vertraut mit klassischer Dialektik, bekannte sich in seinem gesamten
Wirken zur Suche nach Synthesen; simple Kompromisse lehnte er ab. Wo er
scheinbar extreme Positionen bezog, nahm er ihnen die Spitze, indem er sie
durch Wesenszüge anreicherte, die von der Gegenseite kamen.570
„Wir nennen Menschen Personen, weil sie auf andere Weise als jene Lebe-
wesen, die es sonst gibt, das sind, was sie sind“571, lautet Robert Spaemanns
Umschreibung des Wesens personalistischen Denkens. Im Umgang der Men-
schen miteinander sollten Normen positiven Rechts nicht erforderlich sein,
denn: „Warum sollte man einem Imperativ gehorchen?“ Mit Bezug auf die
Geschichte von Kain und Abel mahnte er: „Den Platz des anderen nicht zu
kennen, ist [...] schon gleichbedeutend mit dem Eingeständnis des Mordes.“572
Die im Alltag aus dieser Überzeugung resultierende Haltung ist die des
Respekts. Rudolf Henz fand sie in katholischen Internaten verwirklicht:
Im Grazer Priesterseminar habe er die Einsicht gewonnen, der Mensch sei
„nicht nur ein Teilchen, ein Rädchen, ein Splitter, sondern immer auch, noch
im völlig misslungenen Exemplar, ein Kind Gottes“.573 Christlichem Geist
entsprang auch jene Form des Respekts, die Friedrich Funder an Franz
Martin Schindler schätzte: Als junger Priester habe sich dieser an einer
öffentlichen Ausschreibung gestoßen, in der eine „Schreibkraft“ gesucht
wurde; „‚Kraft’ war für ihn gleichbedeutend mit ‚Maschine’, die aufgestellt
und wieder beseitigt wird, wenn sie keinen Gewinn mehr abwirft. Wenn die
sittlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geleugnet
werden – bis zu welchem Grad der Vergiftung muss dann unser modernes
Erwerbsleben gelangen?“574 So nebensächlich der Gegenstand dieses Zitats
wirkt, es betrifft eine zentrale Komponente der berufsständischen Ordnung
– und zeigt, dass deren Wurzeln in Österreich vor QA lagen. Grundlegende
Idee war die einer Kooperation, bei der es auf die wechselseitige Anerken-
nung fremder Interessenssphären ankommen sollte.575
568 schmidinGer, Der Mensch, 14 f.
569 henZ, Fügung, 294.
570 KainZ, Hauptprobleme, 87–89.
571 sPaemann, Personen, 175.
572 sPaemann, Personen, 194.
573 henZ, Fügung, 93.
574 funder, Aufbruch, 32.
575 böcK, Öffentlichkeitsarbeit, 123–125.
5.6 KULTIVIERUNG PERSONALER WERTE 269
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580