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dass der Adel zwischen Landesfürst und Volk trete. Weit entfernt vom heute
erreichten Problembewusstsein58, betonte er die Landstandschaft der Bau-
ern in Tirol und ihre wichtige Rolle in der Rechtsprechung. Die Eigenschaf-
ten, die er – in Kenntnis archivalischer Quellen und der einschlägigen lan-
deskundlichen Literatur, allen voran der Arbeiten von Hermann Wopfner
und Otto Stolz – den Tiroler Bauern bescheinigte, sind jene, die im Rahmen
der Erörterung des Personbegriffs bereits angesprochen wurden; auch habe
der Tiroler Bauer nicht das „knechtische Wesen“ anderer Bauern, sondern
zeige Selbstbewusstsein gegenüber anderen Ständen. Zur Zeit des Absolu-
tismus seien die Bauern dieses Landes nicht „zur willens- und teilnahms-
losen Masse“ herabgesunken.59 Georg Moth brachte die Landstandschaft
der Bauern in Tirol mit dem seit dem 14. Jahrhundert feststellbaren, in ei-
ner hoch entwickelten Gerichtsbarkeit sich äußernden Kommunalismus am
Land in Zusammenhang und ortete Ansätze eines Berufsstands.60 August
M. Knoll nannte „die landständische Gliederung der Alpen-, Sudeten- und
Karpatenländer“ die Basis der „österreichischen Reichsidee“.61
In Leopold Engelharts Diktion entsprach der „Wehrstand“ dem „Ge-
schlechtsadel“ – doch nur dem Wort nach. Der Wiener Domprediger fand die
Kriterien echten Führertums nicht in der Geburt, sondern in persönlichen
Eigenschaften und deren bewusster Kultivierung.62 Vom „Wehrstand“ war
auch in einem 1934 im Ministerrat gestellten Antrag die Rede, die im Vertei-
digungswesen Tätigen aus dem Berufsstand Öffentlicher Dienst herauszu-
nehmen und einen eigenen zu bilden: Bundeskanzler Schuschnigg erklärte
dies für verfassungswidrig.63 Richard Schmitz erklärte, die Begriffe „Wehr-
stand“, „Nährstand“, „Lehrstand“ seien als Anachronismen in der Verfas-
sung mit Bedacht vermieden worden.64
Das für das Alte Reich charakteristische System der Reichs- und Land-
stände war für die Träger des österreichischen Ständestaates deshalb so
faszinierend, weil sie darin ein Abbild der ewigen Ordnung sahen, eine Ord-
nung, die eine direkte Beziehung der Masse zum „Staat“ und institutionelle
Regelungen nicht kannte und das Rechtsprinzip suum cuique hochhielt.65
Karl Planck-Planckburg legte 1929 eine 46 Seiten starke Abhandlung (Die
Landeserbämter) vor, in der er auf der Grundlage archivalischer Quellen
58 schennach, Cum consilio, 43–49.
59 Kolb, Das Tiroler Volk, 25; Kolb, Die geistigen Grundlagen, 12 f.
60 moth, Neu-Österreich, 83 f.
61 Knoll, Das Ringen, 4.
62 enGelhart, Führertum, 55.
63 PMR IX/2, Prot. 977/30 (20.–21. 12. 1934), 160.
64 PMR VIII/6, Prot. 938 (14. 4. 1934), 422.
65 Kondylis, Konservativismus, 80 und 110– 116. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN308
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580