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ein Offizier. Um gleichwohl gewisse Bedingungen für eine standesgemäße Le-
bensführung zu erfüllen, bedurfte er einer Heiratsgenehmigung des Kaisers
als obersten Dienstherrn, die mit der Hinterlegung einer Kaution verbunden
war. Ginzkey kam um eine Reduzierung ein, die ihm auch gewährt wurde.
Nach außen hin konnte er sein Standesbewusstsein durch die Beschäftigung
eines Dienstmädchens im Haushalt zum Ausdruck bringen.202
Häufig wurden explizite Überlegungen über das Standesgemäße angestellt.
Das Wort fiel in Zusammenhang mit dem Problem der Leistungs-203 und Ver-
teilungsgerechtigkeit204, dabei auch zur Rechtfertigung von Einkommensun-
terschieden. Im Anschluss an Vogelsang205 meinte Karl Lugmayer, die Men-
schen lebten in verschiedenen Verhältnissen und müssten sich nach diesen
richten; ein Hochschullehrer brauche mehr Bücher, aber weniger Nahrung
als ein Schlosser.206 In Analogie zu Spann, der zwischen ständischer Eigen-
tumsauffassung und ständischer Gliederung unterschied207, hielt Leopold
Engelhart fest, Führungspersönlichkeiten hätten ein Anrecht auf eine ihrer
Verantwortung entsprechende Entlohnung.208 Nach dieser Auffassung erfolgte
die Ausübung des Berufs unter Aufsicht eines Stands; der „standesgemäße
Unterhalt“ war an die Stelle der Arbeitswertlehre getreten.209 Im Modellstaat
Johannes Messners kam der „standesgemäße Lohn“ vor.210
Lugmayer hielt es für richtig, dass der Stand eines Menschen äußer-
lich sichtbar werde. Dass selbst Arbeiter das Bestreben zeigten, einen vor-
nehm-bürgerlichen Stil zu entwickeln, sei ein „urgesunder Standpunkt“, in
dem „Berufsehre“ zum Ausdruck komme. Nach Thomas von Aquin211 sei nie-
mand verpflichtet, unter seinem Stand zu leben. Dem Volk liege der Begriff
„Standesaufwand“ geradezu im Blut: „Wer glaubt, durch ein besonders be-
scheidenes Auftreten bei Leuten Eindruck zu machen, für die er wirtschaft-
lich oder gesellschaftlich als Spitze gilt, der erreicht zu seinem Staunen oft
gerade das Gegenteil. Er hat es viel schwerer, sich durchzusetzen, als wenn
er gleich seine Vornehmheit kundtut.“212
202 heydemann, Literatur und Markt, 77 f.
203 H. K. Zeßner-sPitZenberG, Einführung, 21.
204 baumGartner, Arbeit und Erwerb, 23 f.; funder, Aufbruch, 166; K. luGmayer, Leos Lösung,
39, 47, 53; K. luGmayer, Grundrisse, 89; K. luGmayer, Linzer Programm, 15, 28 und 33.
205 streitenberGer, Leitbild, 94.
206 K. luGmayer, Linzer Programm, 29.
207 K. luGmayer, Grundrisse, 133.
208 enGelhart, Führertum, 37.
209 diamant, Katholiken, 224.
210 streitenberGer, Leitbild, 184.
211 Vgl. hierzu schäfers, Prophetische Kraft, 192–195.
212 K. luGmayer, Leos Lösung, 51 f. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN322
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580