Seite - 343 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 343 -
Text der Seite - 343 -
dem Tod.“439 In ähnlicher Weise unternahm Henz 1947 in seinem Anich-Ro-
man eine Deutung der eigenen Zeit.440 Hier stehen auf gesellschaftliche Sta-
bilität bedachte Sichtweisen neben solchen, die auch dem sozialen Aufstieg
eines Menschen bäuerlicher Herkunft positive Aspekte abgewinnen können.
Die für die Beibehaltung der angestammten Lebensform sprechenden Stim-
men repräsentiert ein dem Vater Anich sehr verbundener Stamser Mönch:
So wichtig der Beruf des Feldmessers für den Bauernstand sei, so wenig sei
ein Bauer dazu geeignet, ihn zu ergreifen; Peter möge daher „wie bisher auf
seinem wohlbestellten Hofe“ arbeiten, „zum Nutzen des Anichhauses und zur
Zierde seines Standes“; es sei die „Weltordnung und immer wieder den Men-
schen auch als Prüfung auferlegt“, dass ein jeder „den einmal erwählten, von
Gott zugewiesenen und auch erlernten Beruf tapfer“ ausübe.441
Peters Mutter fasst eine mittlere Lösung ins Auge: Sie glaubt, wer aus
dem Bauernstand komme, dem falle die Kommunikation mit den Bauern
leichter; der Sohn könne den Hof auch als Feldmesser behalten und müsse
nicht in die Stadt wie in einem anderen Beruf.442 Andere Verwandte beto-
nen, dass Peters Vater aus der Unterschicht aufgestiegen sei, weswegen eine
in der Familie ohnehin schon gegebene Dynamik fortgesetzt werde, „wenn
seine Nachfahren […] sich mit den Jahren ein leichteres Leben schafften“.443
Die am Ende des Romans abgebildete Wirklichkeit beruhte indes nicht
auf Überlegungen zum Anspruch auf persönliches Glück, sondern war dem
aufklärerischen Prinzip der Glückseligkeit für alle geschuldet. Als man in
Wien nach einer geeigneten Person für die kartographische Aufnahme Tirols
sucht, erhebt sich Peter Anichs langjähriger Mentor Ignaz Weinhart SJ, an-
fänglich Verfechter einer klaren Einteilung der Stände444, zu seinem enga-
gierten Anwalt.445 Für den aufgeklärten Jesuiten war es selbstverständlich,
das neue Wissen zum Nutzen aller Menschen anzuwenden, ungeachtet der
damit verbundenen sozialen Problematik.446
Eine Schwester Peter Anichs ließ Henz im Roman aus dem heimatlichen
Oberperfuß nach Innsbruck ziehen – und in tiefes soziales Elend versinken,
das mit emotionaler Verhärtung einhergehe.447 Mit diesem – freilich wenig
ausgearbeiteten – Motiv berührte er ein Thema, das bei Guido Zernatto
439 henZ, Die Heimkehr, 76 f.
440 wöGerer, Innere Emigration, 82.
441 henZ, Peter Anich, 67–69; vgl. auch ebd. 78 und 188.
442 henZ, Peter Anich, 34.
443 henZ, Peter Anich, 90.
444 henZ, Peter Anich, 144.
445 henZ, Peter Anich, 328.
446 henZ, Peter Anich, 184.
447 henZ, Peter Anich, 125.
6.5 BAUERNTUM ALS IDEAL 343
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580