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Am prägnantesten drückte sich Karl Lugmayer aus:600 „Ist die Familie
krank, so kann der Staat nicht gesund sein.“601 Für den personalistischen
Philosophen war sie ein Teil jener Weltordnung, die er auch bei Konfuzius
beschrieben fand: „Vom Herrn der Welt bis herunter auf den Mann aus dem
Volk gilt das gleiche: Für alle ist die Veredelung des eigenen Lebens der
Stamm. Dass einer, trotzdem der Stamm bei ihm in Unordnung ist, die Ver-
zweigungen in Ordnung bringen könnte: das gibt es nicht. Wenn einer das,
was ihm das Nächste ist, gleichgültig nimmt, so ist es ausgeschlossen, dass
er das, was ihm ferner steht, wichtig nehme.“602 Aus der deutschen Literatur
zitierte er Schillers Lied von der Glocke603, jene Ballade, die auch der keines-
wegs kulturbeflissene Johann Blöchl zeit seines Lebens im Gedächtnis be-
hielt, weil das darin beschriebene gesellschaftliche Muster für ihn Aktualität
gewonnen habe.604
Als früher Vorläufer der hier referierten Gedanken ist der calvinisti-
sche Staatstheoretiker Johannes Althusius anzuführen, der die Familie als
Grundeinheit des Soziallebens erachtete, als Erscheinungsform jenes Ein-
fachen und Primären, dem Vorrang vor dem Zusammengesetzten gebühre
und das daher spezifische Ordnungsgesetze fordern könne, die eine Heraus-
nahme vom allgemeinen Souveränitätsgebot rechtfertigten, wie etwa das
Subsidiaritätsprinzip. Ja noch mehr: Der Definition von Souveränität müsse
die Untersuchung der Natur des Soziallebens vorausgehen.605
Diese Terminologie kehrt bei Hans Karl Zeßner-Spitzenberg wieder: Wo
„die Familie dem Staat Pate steht“, trete auch das Wesen von dessen Souve-
ränität am reinsten zutage. Als Beispiel für die hausrechtliche Struktur des
Staates nannte er die Pragmatische Sanktion, die für ihn auch ein Aspekt
von Legitimität war.606 Viel Raum verwendete er dafür, das „musterhafte
Familienleben“ und das „ungetrübte Eheglück“607 des letzten Kaiserpaars
als Beispiel gebend zu erklären.608
Leopold Engelhart akzentuierte die Affinitäten zwischen Familie und Ge-
meinwesen am Beispiel der jeweiligen Leitung: „Wo keine gegenseitige Be-
600 K. luGmayer, Linzer Programm, 49.
601 K. luGmayer, Grundrisse, 108.
602 K. luGmayer, Sein 2, 74 f.
603 K. luGmayer, Leos Lösung, 67.
604 blöchl, Lebenserinnerungen, 15.
605 hüGlin, Föderalismus, 329 f.
606 H. K. Zeßner-sPitZenberG, Legitimität, 163; Die Zukunft, 287 und 300.
607 H. K. Zeßner-sPitZenberG, Kaiser Karl 1953, 84.
608 H. K. Zeßner-sPitZenberG, Kaiser Karl 1953, 47; H. K. Zeßner-sPitZenberG, Kaiser Karl
1927, 141; H. K. Zeßner-sPitZenberG, Die kaiserliche Familie, 17; vgl. auch heinZ, E. K.
Winter, 325. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN358
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580