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fuß700 – vom „Mutterberuf“, der gleich allen anderen nicht vom Menschen
frei gewählt werden könne, sondern Gottes Wille sei. Mithilfe biblischer Bei-
spiele entwarf er ein Bild, das Mutterschaft zum Stand werden ließ.701 Im
Rahmen feierlicher Begehungen des Muttertags wurde die unbezahlte Ar-
beit der Mütter ideologisch zum Opfer überhöht.702
Aus der eben beschriebenen Mentalität resultierte eine Politik, die weib-
liche Berufstätigkeit einzuschränken versuchte.703 Otto Ender hielt es für
eine der Errungenschaften der Maiverfassung, die Frau der Familie „zu-
rückgegeben“ zu haben.704 Deren Art. 16 („Frauen haben die gleichen Rechte
und Pflichten wie die Männer, soweit nicht durch Gesetz anderes bestimmt
ist“705) wurde faktisch also als gegenstandslos erklärt.706 Kurt Schuschnigg
nahm die Stimmen gegen die weibliche Berufstätigkeit zum Anlass, „die
frauliche Sorge, frauliche Karitas, frauliche Hilfe – und ich möchte fast sa-
gen – ideales Frauentum“ davor zu bewahren, „in die verzerrten Niederun-
gen des Alltagskampfs herab[zu]steigen“.707
Leopold Kunschak, der Vertreter der christlichen Arbeiterbewegung,
sprach von „Hingebung“ der Frau zwecks Erhaltung der Familie als Keim-
zelle der Gesellschaft.708 Er teilte nicht die liberale Auffassung von der
Familie als „Kerker der Frau“, die sich auch der Kapitalismus zu Eigen
gemacht habe. Dass nunmehr [sc. 1937, E. K.] fast die Hälfte aller Beschäf-
tigten Frauen seien, könne „nur als in jeder Hinsicht unnatürlich und unge-
sund bezeichnet werden“709, als „sendungswidrig“ und dem staatlichen und
gesellschaftlichen Interesse nicht dienend.710 Kunschak bezog sich hierbei
nicht allein auf die Mütter, sondern auch auf die unverheirateten Frauen,
die, soweit berufstätig, den Männern Arbeitsplätze wegnähmen.711
700 dollfuss an österreich, 193.
701 thir, Frauengestalten 2, 293.
702 bandhauer-schöffmann, Mutteropfer, 61–64; bandhauer-schöffmann, Männerstaat, 271–
273; Grafeneder, Arbeiterfamilie, 74 und 77; hauch, Vom Androzentrismus, 361.
703 Diesbezüglich stellvertretend für viele: H. schmitZ, Die berufsständische Ordnung, 10 f.
704 Kraus, „Volksvertreter“, 181; seliGer, Scheinparlamentarismus, 223.
705 die neue österreichische verfassunG, 37; diamant, Katholiken, 244.
706 Dies gestanden selbst systemnahe Kommentatoren ein; froehlich, Die Verfassung 1934,
60; zu den daraus sich ergebenden gesetzlichen Möglichkeiten vgl. PutscheK, Ständische
Verfassung, 20.
707 K. schuschniGG, Österreichs Erneuerung, 173.
708 KunschaK, Frauenfrage, 17; vgl. ennsmann, Frauenpolitik, 7 und 196; erneGGer, Staatliche
Sozialpolitik, 149; Grafeneder, Arbeiterfamilie, 77.
709 KunschaK, Frauenfrage, 27 f.
710 KunschaK, Frauenfrage, 37.
711 KunschaK, Frauenfrage, 41; vgl. Grantl, Arbeitsschlacht, 8; senft, Im Vorfeld, 67.
6.6 DIE FAMILIE 367
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580