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Zur Erläuterung sei auf Anton Klotz verwiesen: Unter dem Einfluss des
Liberalismus habe sich der Einzelne an die Stelle Gottes gesetzt; als er
dies „in der Gruppe“ getan habe, sei der Nationalismus entstanden.807 Die
MSchKP setzte übersteigerten Individualismus mit überlautem Nationalis-
mus gleich; daher sei der „westlerische Staatsgedanke“, der derzeit (sc. 1936,
E. K.) eindringe, keine Bereicherung.808 Aus diesen Äußerungen spricht die
von Andreas Posch unterstrichene naturrechtliche Komponente der Nation
und der daraus abgeleitete hohe ethische Anspruch: „Der Nationsgedanke
gewann nur Kraft, wenn er in den Dienst anderer Ideen trat.“809
Eine solche Idee erhielt Österreich in der 1914 veröffentlichten Abhand-
lung Das österreichische Problem von Friedrich Wilhelm Foerster eindring-
lich erläutert. Ehe dieser Gelehrte seinen Abschied von Österreich nahm,
um auf eine Münchner Lehrkanzel überzuwechseln810, wollte er den Eliten
dieses Landes den hohen Wert der slawisch-germanischen Kulturgemein-
schaft eindringlich ans Herz legen und sie vor einer einseitigen Ausrichtung
auf Deutschland warnen.811 Die zum ständischen Gedanken bestehenden Af-
finitäten zeigt die Prämisse, die er den Kernaussagen voranstellte: „Politiker
sollte man immer nur diejenigen nennen, die sich mit der Einordnung eines
Teiles in ein Ganzes beschäftigen und in diesem Geiste denken – reden –
handeln.“812 Die Nation war für Foerster ein hoher Wert, aber die „nationa-
len Individualitäten“ müssten begreifen, dass auch „die Herstellung wahrer
kultureller Gemeinschaft zwischen den verschiedenen Rassen (!)“ erforder-
lich sei.813 Das „österreichische Problem“ nannte er den „Boden, auf dem zwei
große Probleme in vorbildlicher Weise gelöst werden könnten: „Sicherung
der nationalen Selbständigkeiten und zugleich Übung in nationaler Entselb-
stung, zielbewusste Einordnung der Nationalitäten in ein höheres organisa-
torisches Prinzip“.814
Klar tritt der Nexus von Nation und Stand auch in den 1932 veröffent-
lichten Ansichten Kurt Tramplers zur Krise des Nationalstaates hervor.
Eine zentrale Forderung war die Befreiung der nationalen Gemeinschaft
vom Staat; innerhalb einer „staatsfreien Sphäre“ sollten organisierte nati-
onale Gemeinschaften als „Nationalstände“ die Möglichkeit erhalten, ihre
Interessen wahrzunehmen: „An die Stelle der nationalstaatlichen Theorie
807 KlotZ, Sturm, 18.
808 MSchKP 1, 206–210 (A. PilZ).
809 NR 13. 3. 1926 (A. Posch).
810 seefried, Reich, 159 f. und 168.
811 hoscheK, Friedrich Wilhelm Foerster, 91–93; KuGler, Die frühe Diagnose, 129.
812 foerster, Das österreichische Problem, 8.
813 foerster, Das österreichische Problem, 18.
814 foerster, Das österreichische Problem, 22 f. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN378
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580