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der Volkssouveränität tritt die nationalständische Theorie der Begrenzung
der Souveränität gegenüber den Völkern.“ Der Nationalstaat werde dadurch
nicht ausgeschlossen, aber seine Wirksamkeit auf die ihm organisch zukom-
menden Bereiche beschränkt. Die von der nationalstaatlichen Theorie ver-
mengten Begriffe „Volk“ und „Staat“ müssten wieder getrennt werden. Be-
sonders wichtig sei die Freiheit vom Staat in der geistig-seelischen Sphäre.
Der Begriff „Volk“ lasse sich nicht nur nach objektiven Merkmalen fest-
stellen, den Ausschlag gebe das subjektive Bekenntnis. Das Volk sei vor al-
lem eine Willensgemeinschaft, die sich zu gemeinsamen geistig-seelischen
Werten bekenne und für deren Erhaltung und Entfaltung Verantwortung
trage. Die nationale Gemeinschaft stehe neben anderen geistig-seelischen
Gemeinschaften und wirtschaftlichen Zusammenschlüssen, wie beispiels-
weise Religionsgemeinschaften oder Berufsständen. Die Errichtung von Na-
tionalständen führe nicht zur Aufsplitterung des Staates, vielmehr sei ein
auf solcher Grundlage errichteter Staat gefestigter, weil niemand unter ei-
ner Assimilierungspolitik leide. Bei Völkern, die in einer Gemengesiedlung
liegen, werde die nationalständische Staatsgliederung als Lösung des Natio-
nalitätenproblems besonders erwünscht sein.815
Karl Lugmayer warnte vor mythologischer Aufladung des Begriffs „Volk“:
Eine solche würde einen Ganzheitsanspruch bedeuten, der dem des totalen
Staates gleichkäme. Er wies daher auch die Vorstellung einer „Volksseele“
zurück; für ihn gab es nur die Seelen der einzelnen Menschen, die aufgrund
ihrer wesenhaften Gesellschaftlichkeit einer Gruppe angehören und durch
bestimmte, von anderen sich unterscheidende Formen antworten. Wozu es
auf keinen Fall kommen dürfe, sei – unabhängig von den Kriterien der Defi-
nition des Begriffs „Volk“ – dessen Gleichsetzung mit der politischen Macht.
Volk und Staat seien verschiedene Dinge: „Der Staat ist stärker, das Volk ist
reicher.“ Weder der eine noch das andere dürften das Eigenleben der Person
aufsaugen, Ehrfurcht vor allen Äußerungen des Volkstums sei aber wün-
schenswert, weil sie den Sinn für die dahinter liegenden naturgegebenen
Gliederungen schärfe.816
Auch für Othmar Spann war das Volk nicht die letzte Ganzheit.817 Die
Nation definierte er – gleich Dietrich von Hildebrand818 – als geistige Verge-
meinschaftung und unterschied streng zwischen Volk und Rasse. Auch er-
klärte er, nicht alle seien in gleichem Maß von der Nation ergriffen, und: „Im
815 tramPler, Die Krise, 76–86.
816 MSchKP 2, 777–780 und 786–789 (K. luGmayer); vgl. brineK, Arbeiter, 101; Pribyl, Der
christlichsoziale Politiker, 142 f.
817 beyer, Ständeideologien, 153.
818 v. hildebrand, Engelbert Dollfuß, 77.
6.7 HEIMATBEWUSSTSEIN VERSUS NATIONALISMUS 379
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580