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positiver Faktoren. Richard Meister erwartete von der Schule, dass sie zwar
nationale Gesinnung kultiviere, aber Überheblichkeit gegenüber fremdem
Volkstum nicht aufkommen lasse.853 Georg Moth vermittelte dieses Denken
breiteren Schichten.854 Für konservativ-liberale Denker bildete die Nation
die Mitte zwischen Heimat und Welt; es sei aber, so Wilhelm Röpke, zu wün-
schen, dass sie keines von beiden verdränge. Echter Patriotismus stehe in
Gegensatz zu arrogantem Nationalismus.855
Schlüsseltexte: Ignaz Seipel, Guido Zernatto,
Hans Karl Zeßner-Spitzenberg
Mit besonderem Nachdruck sprach sich Ignaz Seipel gegen jeglichen Natio-
nalismus aus und warnte vor Fremdenhass.856 In seinem 1916 erschienenen
Buch Nation und Staat, dem Werk, das ihm sein teuerstes war857, wider-
legte er die Ansicht, Nationalbewusstsein müsse zur Staatsbildung führen
und ethnisch homogene Staaten wiesen eine höhere Legitimation oder auch
nur Funktionalität auf als multinationale. Gemäß der katholischen Doktrin,
die Wurzeln der Volksgemeinschaft lägen mehr im geistig-kulturellen als
im biologischen Bereich858, übertrug er seine Sozialtheorie auf das Problem
Mitteleuropas.859 Die Grenzen von Staat und Nation bräuchten sich nicht zu
decken, vielmehr würden im politischen Einheitsstaat viele Kräfte der Na-
tion versiegen.860 Die Nation definierte der Prälat als von der Staatszugehö-
rigkeit unabhängige Kulturgemeinschaft, den Staat als eine über dieser ste-
hende moralische Instanz gleich der augustinischen Civitas Dei.861 Er warnte
auch vor dem Versuch, Nation und Wirtschaftseinheit gleichzusetzen.862
Vollständige ethnische Lösungen seien nicht wünschenswert, weil Organi-
sation dem Wesen der Nation widerspreche.863 Alles in allem nahm Seipels
853 breZinKa, Pädagogik, 382.
854 moth, Neu-Österreich, 46; vgl. NR 30. 1. 1920 (F. W. foerster).
855 habermann, Das Maß, 23.
856 v. hildebrand, Engelbert Dollfuß, 9 und 32; Kann, Nationalitätenproblem 2, 223; seefried,
Reich, 41 f.; senft, Im Vorfeld, 85.
857 K. v. KlemPerer, Ignaz Seipel, 97.
858 hättich, Wirtschaftsordnung, 29.
859 breuer, Anatomie, 79.
860 Potočnik, Bewusstsein, 100 f.; vgl. KlotZ, Was wird, 85.
861 boyer, Wiener Konservativismus, 351; Kindermann, Konservatives Denken, 215; Kinder-
mann, Österreich, 61; K. v. KlemPerer, Ignaz Seipel, 96; Kriechbaumer, Erzählungen, 170–
174; Potočnik, Bewusstsein, 160; reichhold, Kampf, 76 f.
862 KlotZ, Was wird, 33–36.
863 Kann, Nationalitätenproblem 2, 219.
6.7 HEIMATBEWUSSTSEIN VERSUS NATIONALISMUS 383
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580