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Überzeugt von der Einheit von Mensch und Natur, forderte er die organische
Verknüpfung von historischer Methode und geographischer Betrachtungs-
weise.923 Dieses Verfahren begründete er nicht mit rein wissenschaftlichen
Zwecken, sondern mit dem „Interesse unseres Volks. Denn was ist Landes-
geschichte, Landeskunde anderes als Heimatkunde, als Volkskunde! Hei-
mat und Volk aber sind die trauten Begleiter durch das Leben, sind unsere
kostbarsten Güter.“924 Nachdrücklich wies er auf die Bedeutung der „klei-
nen Lebenskreise“ hin, die sich für jene der großen kulturellen Bewegungen
nutzbar machen ließen.925 Die Kunde davon sei „nicht toter Wissenskram,
nicht antiquarische Liebhaberei, sondern eine nationale Pflicht, eine Bürg-
schaft der Liebe und Treue zur Heimat“.926 Einen der Schwerpunkte seines
wissenschaftlichen Œuvres bildete die Tiroler Landesgeschichte.927
Redlich war freilich zu sehr Wissenschafter und Intellektueller, als dass
er nicht auch den größeren Rahmen gesehen hätte. Er verstand den Blick
auf „kleine Lebenskreise“ als Methode, die vom Einzelnen ausgeht, um zur
Synthese fortzuschreiten. Seine Diktion lässt seine Identifikation mit dem
ordo-Gedanken und die Nähe zu personalistischem Philosophieren erken-
nen: Die Kultur eines Volks nannte er „vielgestaltig und vielstufig“, und das
Einzelne stellte er in den Dienst des Ganzen. Die Ergebnisse professioneller
Landesgeschichte betrachtete er als Bausteine für „den großen, stolzen Bau
der Wissenschaft“, aber auch als Möglichkeit, gegen die „moderne Nivellie-
rung“ anzukämpfen.928 In Otto Brunners wissenschaftlichem Schaffen bilde-
ten die Länder geradezu eine Basiskategorie; eine österreichische Staatsidee
im modernen Sinn habe es in der Vergangenheit nicht gegeben.929
Im Literaturbetrieb der dreißiger Jahre wurde das Boden- und Schollenver-
bundene stark betont.930 Hermann Bahr forderte, dass jeder durch die Verwur-
zelung im Lokalen dem Ganzen diene.931 Guido Zernatto, von Rudolf Henz als
„der nationale Kärntner und Sänger eines urtümlichen Bauerntums“ bezeich-
net932, war überzeugt von der Wirkung des landschaftlichen Gefüges auf den
schöpferischen Menschen.933 Dass er die „Geisteskultur in Kärnten“ der „impo-
923 santifaller, Oswald Redlich, 171.
924 Zit. nach santifaller, Oswald Redlich, 173.
925 lechner, Sinn und Aufgaben, 87.
926 redlich, Ausgewählte Schriften, 83; vgl. winKelbauer, Oswald Redlich, 410.
927 santifaller, Oswald Redlich 41–47.
928 redlich, Ausgewählte Schriften, 78.
929 Jütte, Zwischen Ständestaat und Austrofaschismus, 254.
930 brucKmüller, Nation Österreich, 190.
931 Johnston, Der österreichische Mensch, 127.
932 henZ, Fügung, 243.
933 Zernatto, Vom Wesen, 167. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN390
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580