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des Gemeinsamen“ und befriedigte die „Sehnsucht nach Gemeinschaftskul-
tur“.961 Im Begriff „Sehnsucht“ schwingt die Grundbedeutung des griechi-
schen Wortes „Nostalgie“ mit, nämlich das Leiden am Verlust der Möglich-
keit einer Rückkehr zu einer besseren Vergangenheit, verursacht durch das
Gefühl der Unzufriedenheit mit der Gegenwart, wie es in Zeiten größerer
politischer Umbrüche und ungewisser Zukunft häufig zu beobachten ist.962
Franz Kolb thematisierte Länderpatriotismus nicht explizit als Gegen-
satz zum Staatspatriotismus, faktisch war sein Horizont jedoch auf Tirol
beschränkt. Die Früchte seiner gleichwohl professionell betriebenen Ge-
schichtsforschung waren vornehmlich für Mittelschüler963 und Teilnehmer
an patriotischen Veranstaltungen gedacht; sofern er sie schriftlich nieder-
legte, erreichten sie jedoch auch die akademische Welt, denn er publizierte
in renommierten Organen.964 Als Mitglied der Studentenverbindung Tirolia,
die dem Ständestaat nahestand, betonte er deren landsmannschaftlichen
Charakter965, der sich schon im Namen spiegle.966 Kolbs Interesse galt der
bäuerlichen Welt, die er am Beispiel seiner Wipptaler Heimat akribisch er-
forschte.967 Durch die seelsorgliche Tätigkeit verlor er auch die lebendige Be-
ziehung zum Bauerntum nicht. Häufig trat er bei Heimkehrerfeiern und bei
der Einweihung von Gefallenendenkmälern als Redner auf, wobei er – wie
als Geschichtslehrer am Brixner bischöflichen Gymnasium Vinzentinum –
Patriotismus zu vermitteln versuchte.968 Zeit seines Lebens betonte er die
Wichtigkeit von Tradition, Geschichte und Vätererbe als Gegengewicht ge-
gen Materialismus, Überfremdung und Indifferentismus.969
Ähnliche Gedanken leiteten Leopold Teufelsbauer: Sitte und Brauch
seien im Leben eines Volks „erhaltende Mächte“, die den Menschen Halt,
Schönheit und Würde gäben. Ihre Pflege müsse vom Volk selbst ausgehen,
wenn sie nicht „wertlose Verstandeskonstruktion“ bleiben wolle.970 Carl Vau-
goin setzte sich für diesen Gedanken ein, weil er es möglich mache, „nicht
961 GinZKey, Heimatsucher, 162.
962 GheZZi, Nostalgia, 52–58.
963 Zunächst Lehrer für Geschichte am Vinzentinum in Brixen, wirkte er nach der Ausweisung
durch die faschistischen Behörden 1923 als Religionslehrer in Innsbruck. 1936 war er Direk-
tor der dortigen Lehrerbildungsanstalt, 1939–1941, nach der Vertreibung der Jesuiten aus
Innsbruck, Professor für Kirchengeschichte am Priesterseminar in Volders; Kramer, Franz
Kolb, 565 f.; Kriechbaumer, Dieses Österreich, 345; reitmair, Msgr. Prof. Dr. Franz Kolb, 17.
964 Genannt seien vor allem die Zeitschrift Tiroler Heimat und die Reihe Schlern-Schriften.
965 Vgl. binder, Politischer Katholizismus, 29 und 73.
966 Kolb, Tirolia, 13.
967 Kramer, Franz Kolb, 573 f.
968 Kramer, Franz Kolb, 567.
969 Kramer, Franz Kolb, 572.
970 teufelsbauer, Die geistigen Grundlagen, 21 f. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN394
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580