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bewusstsein, gedacht als Beitrag zur Stärkung des Selbstbewusstseins der
Österreicher.1061 Im Zentrum des Dialogs steht die besondere Stellung der
österreichischen Kultur, die zu einem Baustein des Patriotismus und der Ab-
wehr des Nationalsozialismus werden soll. Die durch die Kultur erfolgende
Veredelung des Naturhaften im Menschen sei umso notwendiger, als dem
Abendland gegenwärtig die Barbarisierung drohe.1062
Die österreichisch-ungarische Monarchie als das Abendland
Guido Zernatto nannte Saint-Germain einen nicht nur für Österreich, son-
dern für ganz Europa schweren Schlag1063, identifizierte sich aber mit der
flächenmäßig stark reduzierten Republik.1064 Für Walter Adam war der Frie-
densvertrag „absurd“. Die alte österreichische Staatsidee hätte in seinen Au-
gen ein entscheidender Faktor für eine friedliche europäische Gemeinschaft
sein können, weil sie „starke moralische Kraftreserven“ besitze, die nach wie
vor wirkten. Der Satz „Heim ins Reich!“ sei schon deshalb falsch, weil Öster-
reich nie dem zentralisierten Einheitsstaat Deutschland angehört habe; ein
Anschluss wäre in seinen Augen einer „mechanischen Zusammenziehung“
gleichgekommen.1065 Adam sprach hier das im 19. Jahrhundert gereifte Be-
wusstsein der deutschen Österreicher an, die sich, obwohl das deutsche Ele-
ment in Cisleithanien nach 1867 schwächer geworden war1066, als Hüter der
Tradition des Alten Reichs fühlten1067, nicht zuletzt, weil Österreich lange
das Stammland der römisch-deutschen Kaiser gewesen sei. So resümierte
er, die Nationalstaatsidee lasse sich auf den mitteleuropäischen Raum nicht
anwenden; die österreichische Staatsidee habe ihre Wurzeln „in der großen,
europäisch konzipierten Reichsidee“.1068
Das 1806 untergegangene Heilige Römische Reich, das der Theoretiker
der österreichischen Staatsidee im Blick hatte, wurde auch im NR, in der SZ
1061 Prutsch/ZeyrinGer, Leopold von Andrian, 495; schumacher, Leopold Andrian, 47, 101 und
118.
1062 CS 28. 2. 1937, 190 f. (W. breitenfeld).
1063 Zimmer, Guido Zernatto, 108.
1064 in der maur, Einleitung, 26.
1065 adam, Staatsprogramm, 20–29, 51–53; zur Österreichideologie als Widerpart zum Natio-
nalsozialismus vgl. Kriechbaumer, Erzählungen, 174–179; zur These, der Ruf „Heim ins
Reich“ sei auf das Heilige Römische Reich zu beziehen, brucKmüller, Nation Österreich,
276 f.
1066 brucKmüller, Nation Österreich, 296–303; DöMők, Nationalitätenfrage, 130.
1067 Potočnik, Bewusstsein, 31.
1068 adam, Staatsidee, 43–47; Zusammenfassung der rezentesten Forschung bei blänsdorf,
Österreich, 180; vgl. auch D. J. weiss, Transformationen, 96. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN404
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580