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Dollfuß forderte: „Man muss stets […] auf dem Posten, auf den man gestellt
wird, die Pflicht erfüllen.“80 Er hielt dem Beruf auch die Fähigkeit zugute,
den Menschen eine „Verankerung“ zu bieten: Gemeinsame Arbeit binde mehr
als jedes Parteiprogramm.81 Für Hans Karl Zeßner-Spitzenberg war wich-
tig, dass der Beruf nicht nur zum Lebensunterhalt – Anton Orel sprach vom
„standesgemäßen Lebensunterhalt“82 – diene, sondern den Menschen in sozi-
ale Bindungen hineinwachsen und ihn seine Persönlichkeit entfalten lasse.83
Johannes Messner setzte den Akzent auf die Verwandtschaft des Wortes
„Beruf“ mit „Berufung“: Damit meinte er die „vom Einzelmenschen als per-
sönliche Lebensaufgabe“ zu erbringende, nicht nur wirtschaftliche, sondern
auch gesellschaftliche Leistung.84 Friedrich von Weichs hielt die „schaffen-
den Stände“ für „berufen“, durch ihre Tätigkeit die Bedürfnisse der Familie
als der ersten ständischen Grundlage zu befriedigen.85
Felix Klezl führte als Beispiele den „Frauenberuf“ und den „Lehrberuf“
an, allerdings wissend, dass Berufung im ethischen Sinn nur eine von meh-
reren Bedeutungen sei, die der Begriff habe. In Hinblick auf die Gegenwart
(sc. 1934, E. K.), die am Ende einer Zeit der von ihm als „Verarmung“ be-
zeichneten Metamorphose des Begriffs „Beruf“ von Berufung zu bloßer Be-
tätigung stehe, sprach er auch von „Beschäftigung“ und von Aspekten wie
Erwerb oder Prestige86; die Auffassung, Beruf sei nur Berufung und kenne
kein persönliches Gewinnstreben, sei längst überholt.87
Im selben Jahr, als der Wiener Professor diese nüchternen Worte sprach,
1934, entwarf der Gewerkschafter Johann Staud ein von Pathos diktiertes
Bild: Berufung bedeute nicht Arbeit in fremdem Auftrag oder Geldverdie-
nen, sondern folge einer inneren Stimme.88 Den deutschen Theologen August
Pieper zitierte er mit einem Satz von geradezu kulturphilosophischer Di-
mension: „Ein Volk, ein Berufsstand, von dem nicht mehr die ernste Arbeit,
die Berufsarbeit als eine Quelle aller Lebenskraft und Gesundheit geehrt
und geliebt wird, ist entartet, eilt dem unerbittlichen Verfalle zu.“ Und er
resümierte: „So bauen wir die Berufsfrage in die letzten tiefsten Zusammen-
hänge unseres Daseins ein.“89
80 adam, Staatsprogramm, 102.
81 dollfuss an österreich, 193 f.
82 orel, Ständeordnung, 13 f.
83 K. P. Zeßner-sPitZenberG, Hans Karl, 52 f.
84 messner, Ordnung, 9 f.; vgl. JuffinGer, Politischer Katholizismus, 55; PytliK, Berufsständi-
sche Ordnung, 71; simonett, Die berufsständische Ordnung, 88 f.
85 v. weichs, Der Weg, 14.
86 KleZl, Beruf, 22–31.
87 KleZl, Beruf, 8.
88 staud, Berufsauffassung, 3.
89 staud, Berufsauffassung, 15.
7.4 ASPEKTE DER BERUFSSTÄNDISCHEN ORDNUNG 443
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580