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bewirkte bei Hermann Stipek eine empörte Reaktion, weil es Ausdruck ei-
nes grundlegenden Missverständnisses des Begriffs „Beruf“ sei.237 Nicht an-
ders erging es den Rentenbeziehern238 oder dem Verband der Köche Öster-
reichs.239
In vielen Fällen herrschte über die Zuordnung einzelner Berufe keine
Klarheit240; dasselbe galt für das Verhältnis der Begriffe „Beruf“ und „Be-
rufsstand“.241 Wäre die von Peter Lütz erhobene Forderung, beim Aufbau der
Berufsstände dürften nur natürliche Zusammenhänge maßgeblich sein, um-
setzbar gewesen, hätte er nicht hinzufügen müssen: „Schwer bestimmbare
Grenzfälle dürfen das System nicht gefährden.“242
Johann Kleinhappl SJ mahnte 1934 zur Tat, denn von einer ständischen
Gesellschaft könne man erst sprechen, wenn die Berufsstände im gesamt-
gesellschaftlichen Gefüge als solche hervorträten.243 Anton Klotz hatte zwar
1932 dazu aufgefordert, eine lange Zeit zu veranschlagen, weil die Stände
natürlich wachsen müssten244, 1934 zeigte er sich hinsichtlich der Voraus-
setzungen für den Aufbau einer berufsständischen Ordnung in Österreich
aber zuversichtlich, weil das Land eine traditionell patriarchalische Gesell-
schaftsstruktur besitze.245 Richard Schmitz hingegen äußerte im Ministerrat
Zweifel, ob sich die Stände wirklich ganz von selbst zu bilden vermöchten.246
In der Tat sah das 1934 entwickelte Programm vor, dass der ständische
Aufbau nach italienischem Vorbild von oben erfolgen solle247 – zum Leidwe-
sen von Bundespräsident Miklas.248 Im März stellte Otto Ender den Antrag
auf Einsetzung eines Ministerkomitees zur Vorbereitung entsprechender
Gesetze.249 Nach seinem Ausscheiden aus der Regierung im September über-
nahm Sozialminister Odo Neustädter-Stürmer seine Agenden.250 Als im Ok-
tober 1935 auch dieser entlassen wurde251, stand für den berufsständischen
237 stiPeK, Das Werden, 20.
238 v. hohenbrucK, Zur Frage, 9.
239 tálos, Herrschaftssystem (2013), 126.
240 PMR VIII/6, Prot. 926/10 (2. 3. 1934), 62.
241 neGer, Verfassung, 93.
242 lütZ, Der Ständestaat, 11.
243 CS 23. 12. 1934 (J. KleinhaPPl).
244 KlotZ, Probleme 2, 163.
245 KlotZ, Sturm, 40–43.
246 PMR VIII/6, Prot. 929/2 (12. 3. 1934), 125.
247 KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 94.
248 lanG, Bundespräsident Miklas, 94 und 170 f.
249 PMR VIII/6, Prot. 928/15 (9. 3. 1934), 105.
250 PMR IX/1, Prot. 965/12 (6. 9. 1934), 256 f. und 261; neustädter-stürmer, Gesetzgebung, 48;
huebmer, Dr. Otto Ender, 186; wohnout, Verfassungstheorie, 23 und 500.
251 schmit, Christliche Arbeiterbewegung, 97 f.
7.5 PROBLEME DER BERUFSSTÄNDISCHEN ORDNUNG 459
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580