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vorgenommener Einschätzung: Zwar sei es in den dreißiger Jahren nicht
leicht gewesen, politischer Mandatar zu sein, aber als Bauernvertreter habe
er gleichwohl erfolgreich arbeiten können: „Unserer Standesorganisation,
dem Bauernbund, gelang es, von Erfolg zu Erfolg schreitend, das Bauern-
tum – gemessen an den Verhältnissen dieser Zeit – ungeschlagen über die
Jahre zu bringen.“412 Diese Worte stehen freilich für das Scheitern des stän-
dischen Ideals, denn sie dokumentieren einen Mechanismus des Interessen-
ausgleichs zwischen den Ständen bzw. zwischen Ständen und Regierung, der
aus der legislativen Tätigkeit herausgenommen und in ein informelles Vor-
feld verlegt worden war.413
Die Umsetzung des ständischen Aufbaus scheiterte vor allem daran, dass
es in der Natur des Stands liegt, etwas Gewachsenes zu sein, dass eine Fest-
legung per Gesetz demnach gar nicht möglich ist.414 Die Hoffnung, dass sich
mit der Zeit zumindest ein geringes Maß an ständischem Eigenleben ent-
wickeln würde, wurde durch die Ereignisse vom März 1938 zunichte:415 Die
für dieses Jahr vorbereiteten berufsständischen Wahlen, in die man noch zu
Jahresbeginn große Hoffnungen gesetzt hatte416, konnten nicht mehr durch-
geführt werden.417 Aus der vorletzten Nummer der MSchKP, die mit dem
„Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich eingestellt wurde, spricht
Ernüchterung: Der „verderbliche Individualismus der Interessen“, der die
Ursache der Neuordnung gewesen sei, wirke in hohem Grade fort und er-
schwere die wirkliche Gesundung von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft;
der alte Klassengeist lebe weiter, von einer wirklichen berufsständischen
Gemeinschaftsordnung sei man noch weit entfernt.418 Resümierend darf fest-
gehalten werden: Ein Ständestaat, wie er der Theorie der berufsständischen
Ordnung entsprochen hätte, bestand 1934–1938 in Österreich nicht.419
Berufsständische Ordnung und Demokratie
Obwohl der berufsständische Gedanke von Vorbehalten gegen die parlamen-
tarische Demokratie lebte, bedeutete er keineswegs die Ablehnung demokra-
tischer Grundprinzipien, auch nicht einen unversöhnlichen Gegensatz zum
412 blöchl, Lebenserinnerungen, 103.
413 wohnout, Verfassungstheorie, 400.
414 Klose, Quadragesimo anno, 28.
415 P. huemer, Entstehung, 610.
416 MSchKP 3, 139.
417 JaGschitZ, Ständestaat, 506.
418 MSchKP 3, 51–53.
419 steiner, Wahre Demokratie?, 164–166.
7.5 PROBLEME DER BERUFSSTÄNDISCHEN ORDNUNG 475
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580