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hin, bei dem ebenfalls nicht der Wähler entscheide, und sprach sich für eine
(zweite) Kammer aus, „in der nun tatsächlich repräsentative Vertreter der
Berufe oder Stände sitzen“.443 Daher hielt er die Frage für berechtigt, „ob das
alles unbedingt so schlimm ist, ob nicht ein gewisser Zug zum Ständischen
auch für die Demokratie von Nutzen sein kann“.444 Bundeskanzler Dollfuß
sei zwar zu weit gegangen („Man kann nicht einen Ständestaat aufbauen“),
aber später habe man von seinem Versuch profitiert.445 Mit der Souveräni-
tät des Alters zurückblickend, mahnte er eindringlich zu einem Überdenken
der Frage, ob die Demokratie nach 1945 so wesentlich anders sei als der
Ständestaat. Wer das Scheitern des ständischen Umbaus in den dreißiger
Jahren zu streng beurteile, möge sich vor Augen halten, dass sämtliche von
Interessengemeinschaften beschickte Ausschüsse die Demokratie gefähr-
den könnten. Auch die heutige Demokratie entspreche nicht mehr der alten
parlamentarischen Demokratie. Daher resümierte er: „Warum sollten sich
die demokratischen Grundformen und Spielregeln nicht mit der Zeit ändern
und neuen Gegebenheiten unseres Lebens anpassen? Wir leben doch auch
geistig nicht mehr im XIX. Jahrhundert. Nicht jede Änderung dieser Regeln
ist also ein Schlag gegen die Demokratie, und wenn man diese Änderungen
mitmacht, sollte man nicht, sobald es einem anders besser passt, das ideale
Maß der parlamentarischen Demokratie anlegen.“446
Die Feststellung möglicher Parallelen zwischen dem Staat der Jahre
1934–1938 und späterer österreichischer Sozialpartnerschaft beschäftigt die
Forschung nach wie vor: Während manche sie für gegeben halten447, geben
andere zu bedenken, dass die Kammern in Österreich seit 1945 nicht nach
dem ständischen Prinzip der Leistungsgemeinschaft organisiert seien, son-
dern die Stellung der Sozialpartner am Arbeitsmarkt abbildeten. Von einer
gemeinsamen Organisation der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen,
wie sie eine Ständeordnung erfordern würde, könne keine Rede sein. Aller-
dings müsse das Streben nach paritätischer Politik der gesetzlichen Inte-
ressenvertretungen als ständisches Element gewertet werden.448 Dasselbe
gelte für den Umstand, dass Verbände nicht nur Sonderinteressen verträ-
ten, sondern den Anspruch erhöben, auch gesamtstaatspolitische Interessen
wahrzunehmen.449
443 henZ, Fügung, 221 f.
444 henZ, Österreich, 76.
445 venus, Rudolf Henz, 38.
446 henZ, Fügung, 212.
447 Klose, Quadragesimo anno, 32 f.; Pasteur, Kruckenkreuz, 7.
448 schambecK, Kammerorganisation, 459–466.
449 schambecK, Kammerorganisation, 444.
7.5 PROBLEME DER BERUFSSTÄNDISCHEN ORDNUNG 479
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580