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dekommen der Maiverfassung; die Ereignisse von 1933 bezeichnete er als
„tiefschmerzlich“. Zu seiner Funktion im SR ab 1934 merkte er an, er habe
sich nur als Fachmann auf dem Gebiet des Verfassungsrechts verstanden
und betätigt; den eigentlich politischen Fragen sei er aus dem Weg gegan-
gen. Als Justizminister nach dem Berchtesgadener Abkommen habe er sich
auf die fachliche Seite seiner Aufgaben beschränkt, an der politischen Ent-
wicklung aber nicht teilgenommen.366
Die Urteile über die vorberatenden Organe fielen unterschiedlich aus.
Während Eugen Margarétha sie in höchsten Tönen lobte367, schätzte Viktor
Kienböck sie gering.368 In Hans Karl Zeßner-Spitzenbergs Augen waren ihre
Kompetenzen allzu begrenzt369; besonders die schwierigen Materien müssten
regelmäßig vorgelegt werden.370 Ähnliche Klagen kamen von Wilhelm Tau-
cher.371 Funder störte vor allem die Nichtöffentlichkeit der Beratungen372,
er versuchte aber auch Positives zu sehen, etwa dass, wenn schon nicht for-
melle Beschlüsse gefasst wurden, zumindest „Anregungen“ gegeben werden
konnten.373 Johann Staud, Gustav Walker und Richard Kerschagl nahmen
am Fehlen eines Initiativrechts Anstoß374; 1938 forderte Eduard Ludwig eine
freiere Berichterstattung.375 Adamovich fasste die Situation 1935, von Adolf
Julius Merkl sekundiert, in seiner staatsrechtlichen Analyse der Maiverfas-
sung prägnant zusammen: Von Gremien der Gesetzgebung könne nur mit
Vorbehalt gesprochen werden.376
Im Gegensatz zu anderen Zeitgenossen fand der Jurist aber zumindest
am LR etwas Positives, nämlich die föderativen Züge.377 Mit Blick auf den
SR bedauerte er hingegen, dass dieser kein Initiativrecht habe. Denselben
Standpunkt vertraten Otto Ender und seine Juristenkollegen Gustav Wal-
ker und Adolf Lenz sowie weitere Mandatare (Clemens Holzmeister, Johann
Staud, Leopold Kunschak)378, während Richard Meister den SR für entbehr-
lich erachtete.379 Leopold Kunschak merkte an, dieser könne sachlich nicht
366 adamovich, (Selbstdarstellung), 16.
367 CS 16. 12. 1934 (E. marGarétha).
368 wohnout, Verfassungstheorie, 428.
369 wohnout, Verfassungstheorie, 440–442; wohnout, Traditionsreferat, 72.
370 wohnout, Verfassungstheorie, 425–427.
371 wohnout, Verfassungstheorie, 489.
372 wohnout, Verfassungstheorie, 454.
373 Posch, Clemens Holzmeister, 376 f.
374 KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 124; Posch, Clemens Holzmeister, 371.
375 wohnout, Verfassungstheorie, 468–470.
376 wohnout, Verfassungstheorie, 437.
377 wohnout, Verfassungstheorie, 226 f.
378 senft, Im Vorfeld, 150; wohnout, Verfassungstheorie, 444–448.
379 wohnout, Verfassungstheorie, 441. 8. STAAT UND
GESELLSCHAFT522
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580