Seite - 45 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Bild der Seite - 45 -
Text der Seite - 45 -
Das Konzept der »kulturellen Übersetzung« 45
noch aus.16 Sie agieren jedenfalls nicht in homogen gestalteten Nationalkulturen,
sondern »in the intersections of frontier zones between cultures« (Pym 1993/94 :
63) und sind vorrangig für das Aushandeln kultureller Identitätsunterschiede
verantwortlich – Salman Rushdies Aussage »I, too, am a translated man« kann
für die Erforschung dieser Figuren gleichsam als Leitsatz dienen.
4. Das Konzept der »kulturellen Übersetzung«
Die These, nach der Übersetzen in hohem Maß zur Konstruktion von Kulturen
beiträgt, wird in der Folge anhand einer eingehenden Studie des translatorischen
Phänomens in der Habsburgermonarchie zu überprüfen sein. Einer solchen
Analyse ist ein Übersetzungsbegriff zugrunde zu legen, der diesem Konstrukt
charakter zu entsprechen versucht. Zentrale Aspekte eines solchen Überset
zungskonzepts sind ein auf Erkenntnissen der Postcolonial Studies beruhender
Kulturbegriff sowie der Blick auf das Prozessuale kultureller Übergänge.
Das »kakanische« Kulturkonzept weist aufgrund seiner vielfachen Überschnei
dungskonstellationen und komplexen Beziehungsgeflechte bereits auf den rela
tionalen Charakter der genannten Aspekte hin : Die Konfrontation heterogener
regionaler, ethnischer, sozialer u.a. Formationen evoziert eine Sicht von Kultur,
für die der – metaphorisch aufgefasste – Übersetzungsprozess gleichsam konsti
tutiv ist und deckt damit die »Erfindung« des Anderen, des zu Repräsentieren
den, auf. In der Vorstellung, dass das Eigene das Fremde braucht, um sich selbst
erkennen zu können (»Kultur ist immer die Idee vom Anderen« sagt Frederic
Jameson, zit. nach Eagleton 2001 : 41), sind die gegenseitigen Projektionen, die
zu steten kulturellen Verknüpfungen führen, erkennbar. Auf die Praxis plurikul
tureller Kommunikationsräume wie die Habsburgermonarchie rückgebunden
bedeutet dies, dass die vielfältigen kulturellen Berührungen im alltäglichen Le
ben zwischen Personen, Symbolen oder kulturellen Produkten »Erfindungen«
oder Konstruktionen bewirken, die je nach den politischen oder ökonomischen
Rahmenbedingungen dieser Verknüpfungen ausgehandelt werden.
Wenn Kulturen als bereits in sich dynamische Gebilde unterschiedlicher
Kodierungen und Traditionen aufgefasst werden (vgl. Celestini/Mitterbauer
2003 : 12), so lenkt dies den Blick zum einen auf die multiplen Bedeutungs
zuschreibungen und veränderungen, die stete Übertragungsprozesse bewirken,
zum anderen auf das konfliktreiche Spannungsfeld, das sich aus diesen Kodie
16 Vgl. als Einzelstudie etwa Wolf (2003b).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437