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Die Ausbildung von Dragomanen 179
Insgesamt ist das Translationsgeschehen in der Habsburgermonarchie im
Untersuchungszeitraum von einigen Ausnahmen abgesehen von einem nied
rigen Institutionalisierungsgrad gekennzeichnet. Dies mag auf verschiedene
Faktoren zurückzuführen sein, allen voran die speziell unter BeamtInnen weit
verbreitete Bi oder sogar Plurilingualität, die zur Schaffung eines oftmals auf
Improvisation und ad hoc Kreativität aufgebauten Kommunikationssystems
beitrug und professionelle Übersetzungs oder Dolmetschleistungen trotz aller
qualitativer Mängel entbehrlich machten. Ein weiterer Grund mag darin liegen,
dass gerade aufgrund des enormen Bedarfs an sprachmittlerischer Tätigkeit ein
von weiten Teilen der davon betroffenen Bevölkerung stillschweigend geteil
tes, hohes Selbstverständnis dafür herrschte, mit mehr oder weniger alltägli
chen Situationen auch ohne die Inanspruchnahme professioneller Unterstüt
zung auszukommen. Vielleicht mag die Metapher des »Fortwurschtelns«, die oft
klischeehaft für das Funktionieren des Vielvölkerstaates verwendet wurde oder
rückblickend wird, ihren Beitrag zur nur mangelhaft erfolgten Institutionalisie
rung des Translationswesen geleistet haben – der Rückgriff auf den vielleicht in
der gewünschten Sprache nur radebrechenden Beamten aus dem Nebenzimmer
war zu verlockend.
3. Die Ausbildung von Dragomanen
Wird die Übersetzungs und Dolmetschtätigkeit in der Habsburgermonarchie
als konstitutives Merkmal für das Funktionieren des Staates gesehen, so stellt
sich die Frage, inwieweit diesem wichtigen Medium durch die Ausbildung
kompetenter SprachmittlerInnen Rechnung getragen wurde. Die einzige nach
weisbare Ausbildungsstätte, die sogenannte »Orientalische Akademie«, bezog
sich jedoch vor allem auf die Vermittlungsaktivitäten im diplomatischen Dienst
mit dem Osmanischen Reich.167 Die Notwendigkeit sprachkundiger Beamter
für diesen Raum war schon lange vor der im Jahr 1754 erfolgten Gründung der
Orientalischen Akademie erkannt worden, insbesondere durch die wachsenden
167 Die Dolmetschtätigkeit der Habsburgermonarchie mit dem Ausland beschränkte sich freilich
nicht auf das Osmanische Reich. So war auch die zunächst durch Sondergesandte bewerkstelligte
Kommunikation mit dem Zarenhof vor allem im 17. und 18. Jahrhundert relevant, deren Be
deutung 1691 durch ein Hofdekret Leopolds I besiegelt wurde, mit dem der später zum »kaiser
lichen Sekretär« und »Residenten« ernannte Otto Pleyer nach Moskau entsandt wurde, um sich
dort zum Dolmetscher auszubilden (Müller 1976 : 81).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437