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188 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
Die Orientalische Akademie wurde nach dem Zerfall der Habsburgermonar
chie von Staatskanzler Karl Renner im Jahr 1920 als Internationale Hochschule
für den Staatlichen Außendienst weiterbestellt und lebt heute als »Diploma
tische Akademie Wien« fort. Die Devise der Orientalischen Akademie FÜR
GOTT UND DEN HERRSCHER, die in deutscher und persischer Sprache im
Treppenhaus des Akademiegebäudes in der Boltzmanngasse den Eintretenden
entgegenprangte (Pfusterschmid Hardtenstein 1989 : 185), ist heute freilich
eine andere.
4. Der kulturkonstruierende Beitrag der Translationspraxis
Die Konstruktion einer habsburgischen Kultur durch im weitesten Sinn be
griffene translatorische Praktiken ist an verschiedenen Parametern festzuma
chen. Zum einen ist es der Translationstypus, an dem der kulturkonstruierende
Charakter in unterschiedlicher Nuancierung erkennbar ist, zum anderen – und
mit ersterem Parameter eng verknüpft – die in gradueller Abstufung sichtbare
Involviertheit von Akteuren bzw. Akteurinnen in den Translationsprozess. Die
tägliche Verständigungsarbeit in der Habsburgermonarchie erforderte in weiten
Teilen der Gesellschaft kulturelle Kontextwechsel, die vom Transfer zwischen
Mutter und Arbeitssprache bis zu Übersetzungs und Dolmetschleistungen im
engeren Sinn reichten.
Kulturelle Austauschbeziehungen und ihre Repräsentationen sind in jenen
Translationstypen, in denen unmittelbar zwischen Personen kulturell ȟber
setzt« wird und keine Texte »dazwischen geschaltet« sind, besonders klar auszu
machen. In diese fortwährenden Akkulturationsprozesse waren vor allem jene
AkteurInnen eingebunden, die als MigrantInnen über Generationen hinweg
mehr oder weniger festgeschriebene Gewissheiten hinter sich ließen und, zu
meist gezwungenermaßen, nach neuer Selbstverortung suchten. Die hier im
Rahmen des »habitualisierten Übersetzens« untersuchten DienstbotInnen,
Handwerker und, in einer Subform, Tauschkinder agierten – stellvertretend für
viele andere soziale Gruppen bzw. »Berufsgruppen« – innerhalb komplexer so
zialer Netzwerke bzw. waren an deren jeweiligen Beschaffenheit als zunehmend
»übersetzte Subjekte« maßgeblich beteiligt und nahmen so in der »Erfindung«
des plurikulturellen Gefüges der Monarchie einen wichtigen Platz ein.
Die mündlichen Translationsleistungen wie das Dolmetschen vor Gericht
oder in zahlreichen anderen Arbeitsfeldern im Rahmen der poly und transkul
turellen Translationstypen sind aufgrund des ihnen eingeschriebenen Merkmals
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437