Seite - 236 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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Achtes Kapitel
»Übersetzen am laufenden Band«.
Eine Übersetzungsstatistik
Auf der Basis der bisherigen Ausführungen stellt sich die Frage, ob die plurilin
guale Kulturproduktion in der Habsburgermonarchie überhaupt Übersetzungen
erforderlich machte. Waren die KonsumentInnen dieser Kulturprodukte, die ja
noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu weiten Teilen dem – wie immer
zu definierenden und sicherlich keine homogene Gruppe bildenden – Bildungs
bürgertum206 zuzurechnen sind, nicht in der Lage oder auch willens, literarische
Werke im Original zu lesen ? Wie Bachleitner/Eybl/Fischer in ihrer Geschichte
des Buchhandels in Österreich (2000 : 238) feststellen, lässt der Forschungsstand
zum Leseverhalten bzw. zur Struktur der LeserInnenschaft in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts nach wie vor zu wünschen übrig, weshalb über die Lese
gewohnheiten nur auf Informationen zum Buchmarkt, zum Bibliothekswesen
oder zum allgemeinen Bildungsstand der Bevölkerung beruhende Hypothesen
aufgestellt werden können. So erlaubt etwa das Sinken der Analphabetenrate
zwischen den Jahren 1890 und 1910 in Wien und Niederösterreich von 5,16 %
auf 2,1 % für die männliche Bevölkerung über 10 Jahren und von 7,27 % auf 2,8 %
für die weibliche Bevölkerung (Schmitz 2000 : 1470)207 den vorsichtigen Rück
schluss, dass die Lektürefrequenz in diesen Jahrzehnten kontinuierlich zunahm,
wobei dies selbstverständlich wiederum nicht auf alle sozialen Schichten in glei
chem Maße zutrifft ;208 auch sagt eine Statistik über die Kenntnisse in Lesen und
Schreiben noch nichts über die Existenz bzw. Beschaffenheit einer Lesekultur
aus. In ähnlichem Maße dürfte laut Schenda (1982 : 8) die im 19. Jahrhundert
forciert vonstatten gehende soziale Mobilisierung und die damit einhergehende
Entwicklung von agrarischen zu industriell urbanen Lebensformen einen nicht
zu unterschätzenden Beitrag zur Ausweitung des Lesepublikums geleistet haben.
206 Vgl. zum Begriff des Bildungsbürgertums Edelmayer (1984) und vor allem Koselleck (1990).
207 Siehe dazu den internationalen Vergleich für das Jahr 1913 in Hobsbawm (1999 : 429).
208 Rudolf Schenda geht in seinen Werken – zumeist auf die Deutschen Gebiete bezogen – auf
schichtspezifische Lektüre im Detail ein ; vgl. etwa Schenda (1976). Des Weiteren darf die nicht
zu unterschätzende Zahl funktioneller AnalphabetInnen sowie der aus vielen Gründen einge
schränkte Zugang zu Zeitungen etc. hier nicht außer Acht gelassen werden.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437