Seite - 128 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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128 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
Übersetzern und Dolmetschern spiegelt die Notwendigkeit dieses Aushandelns
wider und macht deutlich, wie stark das Element der kulturellen Vermittlung
in der Identitätskonstruktion verortet ist. Die ständig stattfindenden Prozesse
der Veränderbarkeit und der Neuverortung zeigen die komplexe plurikulturelle
Spannung, der die Menschen (auch) in der Interaktion mit dem Behördenappa
rat konfrontiert waren und die zu kultureller Differenzierung und Abgrenzung
ebenso führte wie zur Modellierung assimilatorischer Fremdbilder.
Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht
Das Übersetzen und Dolmetschen bei Gericht ist auffallend gut dokumentiert.
Dies mag auf die zentrale Rolle des Gerichtswesens im Allgemeinen und deren
Bedeutung im pluriethnischen Österreich im Besonderen zurückzuführen sein,
wird doch die Realisierung der schriftlich fixierten Gesetzestexte in sprachlicher
Form vollzogen, wodurch das Gerichtswesen zu einem empfindlichen Instru
ment der Toleranzmessung und zu einem Gradmesser für die Ernsthaftigkeit
vonseiten des Staates in der Umsetzung seiner Maßnahmen wird. Besonders
in den letzten Jahrzehnten des Bestehens der Habsburgermonarchie kam den
Sprachfragen vor Gericht verstärkte Relevanz zu, was zum einen durch die
Fortschritte der nicht deutschen Sprachen in der Erarbeitung juristischer Ter
minologie und zum anderen auf die verstärkte Durchführung mündlicher und
öffentlicher Verfahren bedingt ist ; diese mündlichen Verfahren führten zu ei
nem unmittelbaren Kontakt zwischen Bevölkerung und Gerichten und ließen
Kommunikationsfragen virulenter werden. Eine entscheidende Rolle spielte in
diesem Kontext wiederum der verstärkte Nationalitätenstreit.
Vor diesem Hintergrund gelangt die Frage nach dem Einsatz von Dolmet
schern und Übersetzern bei Gericht zu vorrangiger Bedeutung. Bereits im
Strafgesetzbuch von 1803 war von »beeideten« Dolmetschern die Rede, die bei
gerichtlichen Vernehmungen »sprachunkundiger« Beschuldigter zwingend bei
zuziehen waren. Die rechtliche Grundlage für die Beeidigung von Gerichtsdol
metschern ist im Hofdekret von 1835 zu finden, das sowohl die Vorgangsweise
bei der Herstellung beglaubigter Übersetzungen regelt als auch die Einrichtung
ständig beeideter Dolmetscher :
Erstens. Die Parteien sind allen nicht in der Gerichtssprache oder in einer der
Landessprachen ausgestellten Urkunden, wovon in oder außer Streitsachen bei
Gericht Gebrauch gemacht werden soll, beglaubigte Uebersetzungen in die Ge
richtssprache oder in eine der Landessprachen beizulegen schuldig.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437