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Zählt der Staat Häupter oder Zungen ? 67
Zugehörigkeit heraus. Diese beruhte – wie oben von Eötvös aufgezeigt – auf der
Tatsache, dass das Ringen um die Sprache in der Praxis stets als Instrument für
das Ringen um politische Herrschaft gebraucht wurde.
Solche Bestrebungen sind nicht zuletzt im Bemühen verschiedener Vereine
zu konstatieren (Deutscher Schulverein, Verein Südmark, slowenischnationaler
Cyril und Method
Verein, u.v.m.), die sich als »Guardians of the Nation« (Jud
son 2006) sahen : Auf der Basis der Zensusergebnisse von 1880 bis 1910, die die
weitgehende Gleichgültigkeit gegenüber nationalen Identifikationskonzepten
von an (als »imaginiert« entlarvten) »Sprachgrenzen« siedelnden Personen auf
deckten, operierten diese Vereine mit zahlreichen AktivistInnen (LehrerInnen,
BeamtInnen, TelegrafistInnen etc.), die dem nationalen Gleichmut (»national
ignorance«, Judson 2006 : 2) entgegenzuwirken und nationale Selbstindentifika
tionen durch Schulaktivitäten, die Ansiedlung protestantischer SiedlerInnen im
slowenisch deutschen »Sprachgrenzgebiet« oder auch durch die Förderung tou
ristischer Aktivitäten (etwa in Südböhmen) zu stärken trachteten. Ihre Erfolge
waren relativ bescheiden und eher dort zu verorten, wo nationalistische Diskurse
etwa mit ökonomischen Entwicklungsperspektiven einhergingen ; damit wird
der Blick weggelenkt von nationalistischer Rhetorik und Agitation auf natio
nale Selbstindentifikation als ein »fragile and contingent phenomenon« (ibid.:
176), das in der – durch den Zensus erforderten – nationalen Selbstzuschrei
bung keine moralische oder historische Wahl sah, sondern eine Indentifikation
vorrangig über Beruf, den lokalen Raum, die Religion oder bestimmte soziale
Netzwerke.37
2. Zählt der Staat Häupter oder Zungen ?
Die »Überbetonung der Sprache als nationales Unterscheidungsmerkmal« (Brix
1982 : 14) schlug sich besonders in der oben angesprochenen cisleithanischen38
Volkszählung von 1880, der ersten nach dem Ausgleich von 1867, in der Frage
nach der »Umgangssprache« nieder, ein Begriff, der der Statistik des frühen
37 Damit stellt Judson die in der Forschung oftmals postulierte enge Verbindung von Nationalismus
und Modernisierung ebenso infrage wie die Sicht von der Herausbildung von Nationalstaaten als
unvermeidbaren Prozess (siehe dazu auch Deak 2008).
38 Als »Cisleithanien« wurde nach 1867 in der Umgangssprache die westliche Reichshälfte (offiziell
»die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder«) der österreichisch ungarischen Monar
chie bezeichnet (= Land diesseits der Leitha im Gegensatz zu Transleithanien).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437