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120 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
Übersetzungsarbeiten gegen Honorar. Auch bedeutende Schriftsteller und Wis
senschaftler sind unter den Translatoren zu finden, wie etwa der Sprachwissen
schaftler Alois Šembera (1807–1882), mährischer »Landes
Translator« oder der
bekannte Dichter Karel Jaromír Erben (1811–1870), »Gubernial
Translator« in
Prag, oder auch der Schriftsteller Antonín Rybička (1812–1899), Translator im
Wiener Innenministerium.118 Die »Ungarische Amtsstelle für Übersetzungen
und Beglaubigungen«, die aus einer Fusion zweier im Zuge des Ausgleichs von
1867 notwendig gewordener Amtsstellen hervorgegangen war (Petioky 1998 :
366f.), ist als weitere Etappe der Institutionalisierung des Translationswesens
zu sehen.
Wie jedoch die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, lag die Ausführung
translatorischer Tätigkeiten über weite Strecken in den Händen zwei oder
mehrsprachiger Beamter, Privater und anderer Personen, die – oft unbezahlt
– zu übersetzerischen Aktivitäten angehalten wurden. Es kann somit von der
These ausgegangen werden, dass die Institutionalisierung der Übersetzer und
Dolmetschtätigkeit nicht den Grad erreicht hat, der von dem gigantischen Ver
waltungsapparat der plurikulturellen Monarchie zu erwarten gewesen wäre.
Dieser Frage wird im Folgenden anhand einer detaillierten Analyse der »poly
kulturellen Translationstätigkeit« in der Habsburgermonarchie zwischen 1848
und 1918 nachgegangen.
Kontakt zwischen Behörden und Parteien
Die Bereiche, in denen die Staatsbürger und Staatsbürgerinnen der Habsbur
germonarchie Verständigung mit Behörden suchten oder zu suchen hatten, sind
weit gefächert und reichen von Gemeindeamt über Bezirkshauptmannschaft
und Statthalterei bis zum Ministerium, und auch Einrichtungen wie Bahn oder
Post sind für die alltägliche Kommunikation zwischen BürgerInnen und Behör
den von großer Bedeutung. Wie zu erwarten, standen oftmals nicht genügend
qualifizierte Personen zur Verfügung, um diesen gewaltigen sprach und kultur
mittlerischen Anforderungen Genüge zu tun.
Die Kommunikation zwischen BürgerInnen und Behörden innerhalb der
Monarchie erforderte die Arbeit von Translatoren – oder was immer als sol
118 Die Bezeichnung »Translator« war durchaus auch im literarischen Bereich üblich ; vgl etwa den
Schriftsteller und Übersetzer Georg Nikolaus Bärmann (1785–1850), der sich selbst als »Lehrer
und Translator in der deutschen, englischen, französisch, italienischen, spanischen und portugie
sischen Sprache« bezeichnete (Bachleitner 1989 : 24, 45ff.).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437