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1. Einleitung
32 Arne Naess , der 1934 und 1935 als Student am späten Zirkel teilnahm und sich intensiv mit
Mitgliedern des Kreises austauschte ,25 warnte schon 1968 davor , auf die Zuordnung zu ei-
ner Bewegung zu viel Gewicht zu legen :
As far as movements are concerned , I think that from a purely philosophical point of view
such classifications are unreal. The real centers of philosophy are individual philosophers ,
perhaps their individual work. The more one understands them , the less easy it is to apply a
label or specify the lineage ; and however diverse the basic viewpoints , one can usually detect
some common origin far back in the thought of classical Greek or Indian antiquity. [ … ] De-
spite the schism that has grown up between the analytically educated and those brought up
in existentialist metaphysics , analytical philosophy and existentialism are not two clearly de-
marcated fields of activity. ( Naess 1968 , ix )
Ich werde möglichst unvoreingenommen an die Beiträge einzelner Protagonisten herange-
hen. Die Untersuchung geht also vom Einzelnen aus , um zu einem Gesamtbild zu gelangen.
Die Untersuchung wird jedoch auch Bezüge zu persönlichen Auffassungen herstellen. Ge-
rade dort , wo es um die Verbindung von Theorie und Praxis geht , kann nicht von den Per-
sonen abgesehen werden , denn diese sind es , in denen sich Theorie und Praxis verbinden.
BezĂĽge zur Gegenwart : Trotz ihres generell historischen Charakters wird die vorliegen-
de Untersuchung sich nicht in antiquarischen Betrachtungen erschöpfen. Sie wird auch
BezĂĽge zu aktuellen Fragen und Problemen herstellen , obwohl sie nicht vorschnell zu ak-
tuellen Problemzusammenhängen übergehen wird ( siehe Dahms 1985b , VII ). Nicht zu-
letzt steht die Untersuchung im Kontext des Stellenwertes ethischer Arbeiten in der ge-
genwärtigen Analytischen Philosophie , vor allem in den deutschsprachigen Ländern. Die
Analytische Philosophie hat sich zu einer Institution mit eigenen Werten und eigener Fa-
miliengeschichte entwickelt. Der Wiener Kreis bildet eine entscheidende Episode dieser
Geschichte. Das Vergegenwärtigen von Vergangenem bildet einen Rahmen für die Ori-
entierung in der philosophischen Gegenwart. Dadurch wirkt Vergangenes auf die Gegen-
wart ( nach ). Marginalisierte Aspekte des Vergangenen aufzuzeigen , kann insofern auch
die Gegenwart beeinflussen.
1.5 Adressatenkreis und RezeptionshintergrĂĽnde
Die vorliegende Untersuchung richtet sich insbesondere an das philosophisch interes-
sierte Publikum im deutschsprachigen Raum , in dem das Bild des Wiener Kreises auĂźer-
halb der Analytischen Philosophie sehr stark vom Positivismusstreit der 1960er-Jahre ge-
25 Naess ( 1912–2009 ) nahm später aktiv an der Friedens- und Ökologiebewegung teil und begründete die
Tiefenökologie ( Deep Ecology ) mit. Siehe dazu u. a. Uebel 2011.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale MoralbegrĂĽndung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage natĂĽrlicher Ziele : Rationale MoralbegrĂĽndung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische MoralbegrĂĽndung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und BĂĽrgerinnen oder BĂĽrger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukĂĽnftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- AbkĂĽrzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441