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3.4 Die Standardauffassung logisch-empiristischer Ethik
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3.4 Die Standardauffassung logisch-empiristischer Ethik
Diese überlieferte , herkömmliche und noch immer vorherrschende Auffassung , die sich
so gut wie ausschließlich auf ein paar Stellen bei Carnap und auf die Position Ayers ( bes-
tenfalls als vermeintliche Verbesserung auf Stevenson ) bezieht , umfasst im Wesentlichen
folgende Festlegungen und Behauptungen :
1. Empirische Untersuchungen ( insbesondere psychologische , soziologische ,
historische oder anthropologische ) zählen zu den legitimen Aufgaben logisch-
empiristischer Moralwissenschaft. Diese zählen jedoch nicht zur Ethik im
engeren Sinne als einer philosophischen Disziplin.
2. Die einzig legitime Aufgabe logisch-empiristischer Ethik als philosophischer
Disziplin liegt in der Analyse moralischer Sprache. Ein Kognitivismus sei mit
logisch-empiristischen Grundannahmen nicht vereinbar und daher abzuleh-
nen. Möglich bleiben Aussagen über die Bedeutung und Funktionsweise mo-
ralischer Wert- und Normsätze , insofern diese auf einer nonkognitivistischen
Basis rekonstruiert werden. In diesem Zusammenhang wird sodann behauptet ,
alle Logischen Empiristinnen und Empiristen hätten einen Nonkognitivismus
vertreten und sich auf derartige Untersuchungen beschränkt.
3. Eine normative oder inhaltliche Ethik zählt nicht zu den legitimen Aufga-
ben logisch-empiristischer Ethik. In den logisch-ethischen Arbeiten zur Moral
finde sich keine solche Ethik.70
Ich werde dies die Standardauffassung logisch-empiristischer Ethik nennen. Sie wird dem
Wiener Kreis im vorherrschenden Bild zugeschrieben. Dies zeigt bis heute Auswirkungen :
Zum einen tut sich eine Analytische Ethik , die sich in ihrer „harten“ Richtung möglichst
nah an Carnap halten will , mit Ethik noch immer schwer und wertet sie im Kanon der
philosophischen Teildisziplinen ab bzw. marginalisiert diese. Ethik ist dieser Richtung als
zu unrein suspekt geblieben. Vor diesem Hintergrund scheint es mir beispielsweise kein
Zufall zu sein , dass bei Kongressen der Gesellschaft für Analytische Philosophie die Diszipli-
nen für die Sektionsvorträge in folgender oder ähnlicher Reihenfolge angeordnet werden :
1. Logik und Wissenschaftstheorie , 2. Erkenntnistheorie , 3. Sprachphilosophie , 4. Philo-
sophie des Geistes , 5. Metaphysik und Ontologie , 6. Angewandte Ethik , Politische Philo-
sophie , Rechts- und Sozialphilosophie , 7. Normative Ethik , Metaethik , Handlungs- und
Entscheidungstheorie , 8. Ästhetik und Religionsphilosophie. Die Ethik rangiert regelmä-
ßig auf den unteren Ebenen , wenngleich noch vor Ästhetik und Religionsphilosophie. Des
Weiteren bleibt damit die Ansicht verbunden , dass , wer denkt , in der Ethik redlicherwei-
se mehr leisten zu können als nonkognitivistische Sprachanalyse , sich von Wiener Kreis
70 Vgl. Hegselmann 1979.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441