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6.3 Mengers Moralauffassung
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6.3 Mengers Moralauffassung
6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen
Moral kommt bei Menger explizit auf zwei Stufen vor. Zum einen kommt Moral bzw.
kommen Moralen als Normensysteme vor , die Handlungsweisen regeln , die man ( auf-
grund persönlicher Vorlieben ) wählen kann. Solche Normensysteme sind Moralen 1. Stu-
fe. Mit Moralen 2. Stufe sind Normensysteme gemeint , die nicht Verhaltensweisen regeln ,
sondern den Umgang mit gewählten Normensystemen 1. Stufe , die miteinander nicht ver-
träglich sind. Modelle für Moralen 2. Stufe können nützlich sein , wenn es darum geht ,
Moralen 1. Stufe zu harmonisieren.
Darüber hinaus bleibt bei Menger die Möglichkeit bestehen , dass den Moralen 1. Stu-
fe noch normativ-evaluative Einstellungen vorgelagert sind , die in der Wahl der Moralen
1. Stufe eine Rolle spielen. Ich nenne diese Basismoralen , ein Ausdruck , der bei Menger
nicht vorkommt. Es scheint mir jedoch wichtig , darauf hinzuweisen , da sich daraus Kom-
plikationen ergeben können , denen Menger zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Er be-
fasst sich nicht weiter mit Basismoralen , da sie schon auf der Ebene der Moralen 1. Stufe
nur mehr als persönliche Vorlieben auftreten. Für die jeweiligen Anhängerinnen und An-
hänger können sie trotzdem viel mehr sein und können insofern auch die Anzahl der ak-
zeptablen Moralen 1. und 2. Stufe stark beschränken. Sie können beispielsweise alle nicht
schlichten Systeme ausschließen. Oder alle , die bestimmte Grundnormen nicht als allge-
meinverbindlich enthalten. Auf diese Probleme werde ich weiter unten noch einmal zu-
rückkommen , sie seien jedoch schon hier erwähnt. Menger scheint diese Basismoralen ,
wie ich sie nenne , als eine Art Privatmoralen zu verstehen , denen er aus seinem liberalen
Gesellschaftsverständnis heraus keine weitere Beachtung zu schenken hat.
6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral
Über Moralen 1. und 2. Stufe , die eine Art öffentlicher Moralen darstellen , erfahren wir
Näheres. Anwärter für solche Moralen sind unterschiedliche Normensysteme , die das
menschliche Zusammenleben gestalten. Sie tun dies insofern , als sie Verhaltensweisen
oder den Umgang mit konfligierenden Normensystemen regeln. Als „Anwärter“ bezeich-
ne ich sie vorläufig deshalb , weil die Frage , ob alle Normensysteme für das menschliche
Zusammenleben nach Menger „Moral“ genannt werden können , noch offen ist. Gibt hier
Menger eine Antwort ?
eine Optativ- oder Imperativlogik auf einer Modallogik ( logic of the doubtful ) aufzubauen und ei-
nige Ergebnisse der Ökonomie zu berücksichtigen. Für seine Imperativlogik , die eine Befehlslogik
ist , interpretiert Menger „p ist befohlen“ als „Wenn nicht p , so wird etwas Unangenehmes gesche-
hen“ ( z. B. Strafe ). Nach Menger hat Alan Ross Anderson ( 1956 ) versucht , die normative Logik auf
einem Begriff der Sanktion – jedoch unter Hinzufügung eines Notwendigkeitsoperators – aufzu-
bauen. ( Vgl. Morscher 2009 , 135. Dort auch zu ähnlichen Überlegungen von Stig Kanger und Her-
bert G. Bohnert. )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441