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5.4 Spätphase : Optative
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reiche nur mehr die formale Strukturtheorie der Wissenschaftssprache.196 Carnap dachte
insbesondere an die Konstruktion von Kunst sprachen.197
Wert- und Normsätze gehörten nicht zur Wissenschaftssprache , sodass die Philoso-
phie sich mit diesen nur so weit zu beschäftigen hatte , als sie darlegen konnte , warum die-
se aus einer weiteren philosophischen Behandlung ausgeschlossen waren. In der Wiener-
Kreis-Periode und noch stärker für einige Zeit danach bleibt der Philosophie in Bezug auf
Moral letztlich nur die Feststellung , dass moralische Sätze nonkognitiv seien und philo-
sophisch deshalb auch nicht weiter von Interesse wären. In dieser Phase kann Carnap si-
cherlich als Kronzeuge der Standardauffassung logisch-empiristischer Ethik gelten , so-
lange diese nicht auf einen Nonkognitivismus beschränkt wird , in dem nur der Ausdruck
kurzzeitiger emotionaler oder volitionaler Einstellungen eine Rolle spielt.
SpäterÂ
– und hiermit greife ich auf den nächsten Abschnitt vorÂ
– wird die nonkogniti-
ve Sprache der Moral ( und der Werte allgemein ) philosophisch so weit von Interesse , als
Carnap es nun für möglich hält , auch für diesen Bereich eine Kunstsprache zu entwickeln.
Nun kann die wissenschaftliche Philosophie auch ĂĽber die logischen Beziehungen zwi-
schen Wertsätzen etwas sagen , wenn auch nicht über den Inhalt von Wertsätzen. ( Carnap
1964 [ 1993 , 147 ]) 1964 sah Carnap als Aufgaben der Philosophie fĂĽr die kommende Zeit
deshalb auch neben der Weiterentwicklung der induktiven Logik die logische Analyse von
Wertsätzen. ( Carnap 1964 [ 1993 , 164 ]) Er selbst hatte zu dieser Zeit seinen Beitrag schon
geleistet , wie der nächste Abschnitt zeigen wird.
5.4 Spätphase : Optative
Im Schilpp-Band widmet Carnap 1963 die ausfĂĽhrlichste Antwort Kaplans wertphiloso-
phischem Beitrag „Logical Empiricism and Value Judgments“. Darin setzt sich Kaplan
mit Carnaps Position ( und der einiger weiterer Logischer Empiristinnen und Empiris-
ten ) hinsichtlich des Status von Werturteilen auseinander. Insbesondere geht Kaplan auf
Carnaps Position ein , wie er sie in Philosophy and Logical Syntax vertreten hatte. Dort hat-
te Carnap behauptet :
196 Hierin sind Carnap nur wenige gefolgt. „Er selbst hat diese radikale Position schon bald wieder auf-
gegeben. Zeitlebens aber blieb er dabei , daĂź Philosophie nur als Wissenschaftsphilosophie eine Exis-
tenzberechtigung habe“ ( Mormann 2000 , 62 )
197 „Der Gegensatz zwischen Quine und ihm betreffe , so Carnap , keine sachhaltige Frage , sondern die
Einschätzung , welchen Weg die Wissenschaft am besten einschlagen solle. Quine sei beeindruckt
vom stetigen Übergang von wissenschaftlichem und alltäglichem Denken , von wissenschaftlicher
Sprache und Alltagssprache. Er sehe deshalb keinen Nutzen in der Konstruktion artifizieller Wissen-
schaftssprachen , weder was einen Gewinn an Klarheit noch was Fruchtbarkeit angeht. Er , Carnap ,
hingegen [ … ] verspreche sich jedoch sehr viel von der Einführung formal konstruierter Sprachen.“
( Mormann 2000 , 174 )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale MoralbegrĂĽndung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage natĂĽrlicher Ziele : Rationale MoralbegrĂĽndung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische MoralbegrĂĽndung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und BĂĽrgerinnen oder BĂĽrger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukĂĽnftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- AbkĂĽrzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441