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10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung
374 und speziellen Kulturbedingungen geht , könne diese nun auch Werte aufstellen. ( Kraft
1951 , 261 ) Aufgrund starker anthropologischer Annahmen über das Wesen des Menschen
glaubt Kraft 1951 , auf einem Boden zu stehen , der fest genug ist , um es der Ethik zu er-
lauben , Werte als objektive und sogar absolute vorzugeben. Die Moral findet nun in der
Kultur einen nicht weiter hinterfragbaren Bezugspunkt.
10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele :
Rationale Moralbegründung ( 1963 )
Während Kraft an seiner allgemeinen Wertlehre kaum noch Änderungen vorgenommen
hat , variieren seine Versuche , für die Moralbegründung einen festen Boden zu finden , im-
mer wieder. Einen neuerlichen Begründungsversuch startet er in Rationale Moralbegrün-
dung , einer Arbeit , die 1963 erschien. Die Tendenz , natürliche menschliche Ziele anzu-
nehmen , wird immer stärker.
Krafts werttheoretische Grundvoraussetzungen bleiben : Da er es für einen wesentli-
chen Charakterzug moralischer Werturteile hält , von allen anerkannt werden zu müssen ,
ist es erforderlich , dass sich deren Begründung auf etwas stützt , das von niemandem abge-
lehnt werden kann. Nur ( Tatsachen- )Erkenntnis könne als eine solche objektive Grund-
lage dienen :
Nur eine rationale Begründung , d. i. eine Begründung auf Erkenntnis , kann der Moral eine
sichere Grundlage geben. Denn Rationalität heißt , sein Verhalten durch Erkenntnis leiten
zu lassen. Nur die Erkenntnis kann eine objektive Grundlage geben , die nicht abgewiesen
werden kann , die von allen anerkannt werden muß. ( Kraft 1963 , 6 )
Er setzt wiederum auf Zweck-Mittel-Argumente :517
Und als giltig muß ein Werturteil oder eine Norm anerkannt werden , weil oder wenn man
den gewerteten oder normierten Sachverhalt als Mittel für einen Zweck erkennt und den
Zweck bejaht. In dieser Weise kann eine Erkenntnis einem Werturteil oder einer Norm eine
rationale Begründung geben , [ … ]. ( Kraft 1963 , 36 )
Wiederum glaubt Kraft , eine Moral rational begründen zu können , insofern sie sich als
( notwendiges ) Mittel für von allen Menschen zu bejahende Zwecke aufweisen lässt :
Die rationale Begründung der Moral erfolgt dadurch , daß die Moral als das Mittel zur Er-
reichung eines Zieles erkannt wird , das ein gemeinsames ist. ( Kraft 1963 , 45 )
517 Dies unternimmt Kraft , nachdem er sich ausführlich mit dem Versagen bisheriger Moralbegründun-
gen auseinandergesetzt hat : Psychologische , soziologische , utilitaristische , apriorische , phänomeno-
logische Begründungsversuche seien gescheitert.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441