Page - 168 - in Ethik und Moral im Wiener Kreis - Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Image of the Page - 168 -
Text of the Page - 168 -
6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben
168 legenden Thesen dazu und um einen Vergleich seiner Ansichten mit der Standardauffas-
sung. Im ersten Teil werde ich zunächst Mengers Logik der Sitten erläutern. Im letzten
Teil des Kapitels werde ich Mengers Beitrag hinsichtlich der Fragen kritisch untersuchen ,
welche Auffassung von Moral er vertritt bzw. für seine Arbeit voraussetzt und welche Art
von Ethik für ihn möglich bleibt. Menger stellt nicht nur herkömmliche Auffassungen
davon infrage , was Philosophie und Wissenschaft in Bezug auf Moral leisten können –
also von Ethik – , sondern auch von Moral und trifft sich in seinen Ansichten in wichti-
gen Punkten mit Carnap.
6.2 Mengers Logik der Sitten
Für Menger ist mathematisch-logisches Forschen auch für
Fragen der Moral hilfreich :
Ja , in ihrer Anwendbarkeit auf die Probleme der Ethik erbli-
cke ich eine für das Leben wichtige Seite der exakt-wissen-
schaftlichen Erkenntnisse oder jedenfalls der exakt-wissen-
schaftlichen Denkweise. ( Menger 1934a [ 1997 , 65 ])
Der Beitrag , den Menger hierzu leisten will , besteht in Mo-
ral , Wille und Weltgestaltung darin , Organisationsformen
des menschlichen Zusammenlebens aufzuzeigen , die auch
bei unterschiedlichen Vorlieben hinsichtlich moralischer
Normen( systeme ) eine friedliche Koexistenz ermöglichen.222 Seine Arbeit solle aufwei-
sen , dass hier eine Reihe von Koordinationsmöglichkeiten bestehen , die traditionellerwei-
se übersehen oder vernachlässigt werden. Insbesondere ging es Menger um jene Formen ,
die zu einheitlichen Vorgaben und Kompromissen eine Alternative bieten könnten :
Thus what the book suggests is 1 ) the study of general conditions for the constitution of co-
hesive mutually compatible voluntary groups ; 2 ) in specific cases , the search , in the direction
indicated , for alternatives to dictates and compromises. ( Menger 1994 , 190 )
Dazu untersucht Menger Möglichkeiten der Einteilung von Menschen gemäß ihrer Stel-
lungnahme zu Normen und die Beziehung der dadurch entstehenden Gruppen unterei-
nander. Seine allgemeine Theo rie befasst sich mit Beziehungen zwischen Individuen und
222 Die Behauptung , das erste Ziel der Moral sei das friedliche Zusammenleben , wie es Josef Zelger in
einem Beitrag zu Mengers Theorie formuliert , findet sich jedoch bei Menger nirgends ( Zelger 1977 ,
185 ).
Abb. 3 : Karl Menger
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441