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4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen
Engagements
4.1 Einleitung
Viele Mitglieder des Wiener Kreises waren partei- , gesellschaftspolitisch oder sozial aus
moralischen Beweggründen heraus aktiv. Sie sahen sich dabei in einer Aufklärungstra-
dition und standen in Wien im kulturellen Umfeld der Spätaufklärung , die sich u. a. in
Arbeiter- und Volksbildungsvereinen , in Monisten- und Frei denkerbewegung , Ethischer
Gesellschaft , Frauenvereinen sowie einer Reihe reformerischer Vereine wie dem von Josef
Popper-Lynkeus gegründeten Verein Allgemeine Nährpflicht organisierte. Es ist hier nicht
der Ort , dieses Umfeld umfassend darzustellen. Solche Darstellungen wurden insbeson-
dere von Stadler in mehren Publikationen ( beginnend mit Stadler 1982a ) geliefert. Nichts-
destoweniger ist es notwendig , dieses Umfeld in zentralen Grundzügen zu schildern , wenn
es um die mit dem vorherrschenden Bild des Wiener Kreises verbundene Ansicht geht ,
Moral und Ethik seien für dessen Mitglieder persönlich als Menschen und Bürgerinnen
oder Bürger unwichtig gewesen , wie im vorangehenden Kapitel aufgezeigt. Relevante De-
tails werden darüber hinaus in den einzelnen Kapiteln ergänzt werden.
4.2 Engagement in parteinahen Vereinigungen
4.2.1 Sozialdemokratische Arbeiterpartei und Vereinigung sozialistischer
Hochschullehrer
Ein Teil der Mitglieder des Wiener Kreises engagierte sich parteipolitisch , und zwar in der
Sozialdemokratischen Arbeiterpartei ( SDAPÖ ), die das politische Zentrum des Roten Wien
in der Zwischenkriegszeit bildete. Als politisch am aktivsten tat sich hierin ohne Zwei-
fel Neurath hervor , der wie Zilsel regelmäßig in der Zeitschrift Der Kampf , dem theore-
tischen Organ der SDAPÖ , publizierte. Obgleich darauf hinzuweisen ist , dass Neurath
nie eine offizielle Parteifunktion übernahm.71 Was das politische Engagement von Wie-
ner-Kreis-Mitgliedern betrifft , ist nicht zuletzt durch die Neurath-Renaissance der ver-
gangenen Jahrzehnte ein bereits nachhaltiger Wandel der Einschätzung der Bewegung
eingetreten.
Doch auch der Mathematiker Hahn , der schon beim Ersten Wiener Kreis führend da-
bei gewesen war und die Berufung Schlicks nach Wien betrieben hatte , engagierte sich
in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Mehrere Jahre lang war er Obmann der Verei-
71 Siehe dazu u. a. Dahms ( 1994 , 38 ).
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441