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9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre
266 Skizze , die er um 1920 herum verfasste , mitteilt. ( Schlick [ Autobiographie ], Nachlass
Schlick , Inv.-Nr. 82 , C. 2b , 10 ).343
Daran hat Schlick sich schließlich doch nicht gehalten. Er publizierte nämlich drei
Werke , die sich explizit mit Fragen der Lebensführung und Moral auseinandersetzten.
Neben der bereits erwähnten Lebensweisheit und den Fragen veröffentlichte Schlick 1927
eine kleine Schrift mit dem Titel Vom Sinn des Lebens ( im Folgenden : Vom Sinn ). Die For-
schung und Rezeption beschränk te sich bisher weitgehend auf diese drei , wobei die Fragen
eindeutig im Mittelpunkt stehen. Außerdem finden sich im Schlick-Nachlass Arbeiten
an unvollendeten Werken , zahlreiche thematisch einschlägige Vorlesungsmanuskripte und
Seminarmitschriften. Bis 1936 lassen sich mehr als 10 Vorlesungen und Seminare zum The-
menkreis der Ethik nachweisen. ( Iven 2006a , 4 ) Von 1921–1922 war Schlick in Kiel sogar
Professor für Naturphilosophie und Ethik. Demnach kann ihm sicherlich ebenso wenig
fachliches Desinteresse nachgesagt werden. Feigl , Schlicks Lieblingsschüler , der bereits
1931 endgültig in die USA emigriert war , stellte die Lage in seinem Nachruf auf Schlick
deshalb angemessen dar , wenn er formulierte :
Von Anfang an waren ihm die Probleme der Lebensanschauung mindestens so wichtig wie
die Aufgaben der Erkenntnislogik , deren Bearbeitung er wohl vornehmlich seinen Weltruf
als Philosoph verdankt. ( Feigl 1937/38 , 395 )
Der Schwerpunkt dieses Kapitels wird bei der Untersuchung der Arbeiten aus der Wie-
ner-Kreis-Periode liegen , insbesondere beim Verhältnis dieser Schriften zur Standardauf-
fassung logisch-empiristischer Ethik. Wie schon in den bisherigen Kapiteln werde ich hier
ebenso vorangehende moralische und ethische Auffassungen im Kontext erläutern , ohne
welche die späteren einer Reihe von Missverständnissen ausgesetzt wären.
9.2 Schlicks moralische und ethische Auffassungen
vor seiner Wiener-Kreis-Periode
9.2.1 Frühe Auffassungen im Kontext
Schlick wurde 1882 in eine großbürgerliche , protestantische Familie hineingeboren , die
weltanschaulich zum aufgeklärten Bürgertum zählte. Großvater und Vater waren nicht nur
Mitglieder der Berliner Freimaurerloge Friedrich Wilhelm Morgenröte , sondern der Groß-
vater zählte 1855 zu deren Mitbegründern. Schlicks Vater war ab 1899 zudem im Kurato-
rium der zur Loge gehörenden Witwen- und Waisenstiftung tätig. Noch testamentarisch
343 Schlicks Nachlass ist Teil des Vienna Circle Archivs , das sich in Haarlem in der Nähe von Amster-
dam befindet. Die Inventarnummern folgen dem Inventarverzeichnis des wissenschaftlichen Nach-
lasses von Moritz Schlick und Otto Neurath , das Reinhard Fabian 2007 erstellte.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441