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10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode
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schen Krafts eigenen Grundlagen , mit denen er vermeint auszukommen , und naturrechtli-
chen Konzeptionen klafft jedoch eine Lücke. Der altruistisch-egalitaristische Standpunkt ,
der das Ziel „Erreichung der genannten Ziele für alle“ begründet , ist selbst eine morali-
sche Forderung. Da Kraft diese Lücke nicht sieht , konnte er sowohl von Naturrechtlern
als auch von Rechtspositivisten als Verbündeter gesehen werden.519
Was ist aus der Bezugnahme auf Kultur geworden ? Auch diese taucht 1963 wieder auf ,
jedoch ganz zum Schluss und nun beschränkt auf eine Individualmoral :
Die Anteilnahme an der Kultur
– das ist die Forderung der Individualmoral. Das muß jeder
sich zum Ziel setzen , weil die Kultur für den Menschen wesentlich ist und darum unabweis-
bar. Darin liegt die rationale Begründung einer Individualmoral. ( Kraft 1963 , 65 )
Für die Sozialmoral spielt die Kultur ab nun keine Rolle mehr. Die Inhalte einer Sozial-
moral , die sich nach Kraft rational begründen lassen , werden ab nun immer bescheide-
ner. Eine neuerliche Einschränkung erfahren sie 1968 in Die Grundlagen der Erkenntnis
und der Moral.
10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen
der Erkenntnis und der Moral ( 1968 )
Auch in Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral legt Kraft zunächst wieder seine
Wertlehre dar , an der sich nichts Wesentliches geändert hat. Er betont noch einmal , dass
zwar „gut“ eine undefinierbare Qualität sei , wie auch von Moore behauptet , doch dies tref-
fe auf „sittlich gut“ nicht zu :
Als „sittlich gut“ ist es hingegen nicht mehr eine einheitliche Qualität , sondern das Spezifi-
sche des sittlich guten [ sic ! ] liegt in einem hinzutretenden sachlichen Gehalt , durch den es
sich allein von anderen Arten des Guten unterscheidet. ( Kraft 1968 , 103 )
Obwohl Werturteile und Normen im Gesamten weder wahr noch falsch seien , könnten
sie möglicherweise dennoch objektiv richtig oder falsch sein :
Das große Problem des Wertbereichs ist es , ob es überpersönliche Werte gibt , allgemeingül-
tige , objektive. ( Kraft 1968 , 103 )
Auch 1968 bleibt Krafts Anliegen , die objektive Gültigkeit moralischer Werturteile bzw.
Normen aufzuweisen. So weit , so bekannt.
In der Moralbegründung ergeben sich jedoch weitere Modifizierungen , auf deren we-
sentliche im Folgenden in der gebotenen Kürze eingegangen werden soll.
519 Vgl. dazu auch Schild ( 1973 , 239 f. ).
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441