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8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral
262 8.3 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen
Für Frank ist die moderne Wissenschaft pragmatisch , aber nicht relativistisch im Sinne
persönlicher Willkür. Deshalb ist sie auch nicht für einen Werteverfall verantwortlich zu
machen. Vielmehr wirke in ihr und lasse sich in ihr gut die pragmatische Haltung ausbil-
den , die auf dem Gebiet der Moral zu liberalen und demokratischen Einstellungen führe :
Frank especially worried , therefore , that his colleagues so resentful of relativism were merely
fighting one absolutistic ideology with another. ( Reisch 2005 , 224 )
Frank sieht zwar zum einen die Wissenschaftsphilosophie als Teil der Bewegung der
Aufklärung , dies nicht nur als eines ihrer Anwendungsgebiete , sondern auch treiben-
de Kraft. Insofern wirke sie auf eine aufgeklärte Gesellschaft und Moral hin. Moral
als Lebenspraxis muss nach Frank jedoch zum anderen nicht nur im Zusammenwirken
von Wissenschaft und Wissenschaftsphilosophie gesehen werden. Sie gilt als ein eben-
so selbstständiger Teil einer aufgeklärten Gesellschaft wie Wissenschaftsphilosophie und
Wissenschaft. Viele Logische Empiristinnen und Empiristen waren Naturwissenschaft-
lerinnen oder -wissenschaftler und reflektierten ihre Rolle hinsichtlich einer aufgeklär-
ten Gesellschaft. Nicht alle hätten jedoch behauptet , eine Reflexion des eigenen Tuns
hinsichtlich einer aufgeklärten Gesellschaft könne nur über eine Reflexion der Wissen-
schaft laufen. Politisches und moralisches Engagement mögen über die Wissenschafts-
theorie erfolgen , sie müssen dies jedoch nicht , selbst bei Wissenschaftstheoretikerinnen
und -theoretikern nicht.
Frank war pragmatischer und empiristischer als andere Logische Empiristinnen und
Empiristen , die in die USA ausgewandert waren bzw. dorthin vertrieben wurden.338 Er äu-
ßerte sich deshalb sehr kritisch über die Richtung , die der Logische Empirismus in den
USA der 1940er-Jahre einschlug : Viele Logische Empiristinnen und Empiristen würden
immer mehr zu einem reinen Formalismus übergehen , der fast einem neuen Scholasti-
zismus gleichkäme :
Speaking about this movement [ den Logischen Empirismus ], I am afraid to say that it has
led into a certain impass. This impass comes from the lack of any real cooperation. Some peo-
ple get more and more into pure logical formalism which means almost into a new scholasti-
cism. Other ones who try to influence the real world profess ideas which have little connec-
tion with [ … ] a general scientific approach. ( Frank an Neurath , 10. Dezember 1943 , Nachlass
Neurath , Inv.-Nr. 237 )
338 Franks Beitrag zu Schilpps Carnap-Band lautet : „The Pragmatic Component in Carnap’s ,Elimina-
tion of Metaphysics‘ “.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441