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3.3. 1809 97
devorsteher gewählt.176 Somit war Pfurtscheller der erste Gemeindevorsteher in Fulp-
mes nach der bayerischen Neuordnung des Gemeindewesens durch das „Organische
Edikt zur Bildung von Gemeinden“ vom 28. Juli 1808 sowie durch das „Edikt über
das Gemeindewesen“ vom 24. September 1808.177 Im Zuge dieser neuen „Gemein-
deverfassung“ verlor das Amt des Ortsvorstehers, wie überhaupt die Gemeinde, als,
wie Schennach es ausdrückt, „kommunaler Selbstverwaltungskörper“, stark an Bedeu-
tung.178 Margot Hamm sieht das ebenso und zitiert aus dem Edikt über das Gemein-
dewesen: Die Gemeinden wurden „in Ausübung ihrer Rechte, wie die Minderjährigen
beschränkt“.179 Jeder Gemeindebeschluss bedurfte nun der Zustimmung einer über-
geordneten Kuratelbehörde.180 Das Ziel der bayerischen Regierung war die „Durch-
setzung der Staatssouveränität“ auch in der untersten Ebene des Staates, eben in den
Städten und Gemeinden. Die darüber liegende Ebene der Gerichte und Rentämter
war bereits zuvor Gegenstand etatistischer Reformbestrebungen geworden.181 Bis da-
176 Vgl. Pfurtscheller an Rapp – Nachträgliche Bemerkungen, o. D., TLA, Materialiensammlung Rapp,
Schuber 18 e, Nr. 5.
177 Veröffentlicht in: K.B. Reg.-Bl. 1808, Nr. 61, 19. Oktober 1808, Sp. 2405–2431. – Bis dahin war
es offenbar üblich gewesen, für die Gemeindeverwaltung statt eines Gemeindevorstehers zwei „Ge-
richtsverpflichtete“ – „einer welcher in den Handwerksstand, und einer welcher in den Bauernstand
einsichten hat“ – zu wählen. (Vgl. Bittschreiben um Gerichtsverpflichtete statt Gemeindevorsteher,
10. Juli 1817, TLA, Aktenserie LG Mieders, Fasz. 35, 1800–1827 [loses, ungeordnetes Aktenmate-
rial].) Diese wurden von einem Dorfmeister, der „als Both“ tätig war, unterstützt. (Vgl. Pfurtscheller
an LG Mieders, 20. August 1817, TLA, Aktenserie LG Mieders, Fasz. 35, 1800–1827 [loses, unge-
ordnetes Aktenmaterial].) Diese „Alte verfasung“ habe sich als besonders geeignet für die Gemeinde
Fulpmes erwiesen, „weill es hier eine Größere gemeinde ist in welcher sich mehr Handwerker als
Bauern befinden“, und sich die Bedürfnisse dieser beiden Gruppen stark unterschieden. (Vgl. Bitt-
schreiben um Gerichtsverpflichtete statt Gemeindevorsteher, 10. Juli 1817, TLA, Aktenserie LG
Mieders, Fasz. 35, 1800–1827 [loses, ungeordnetes Aktenmaterial].) Diese wohl zweckmäßige Ein-
richtung wurde nun durch die neue, einheitliche bayerische Gemeindeneuordnung beseitigt.
178 Vgl. Schennach, Revolte, 2009, S. 267–273.
179 Vgl. K.B. Reg.-Bl. 1808, Nr. 61, 19. Oktober 1808, Sp. 2415; sowie: Hamm, Bayerische Integrati-
onspolitik, 1996, S. 117.
180 Vgl. Martin P. Schennach, Kommunalismus als Strukturprinzip? Der Tiroler Aufstand von 1809
und die Tradition frühneuzeitlicher Revolten, in: 1809. Neue Forschungen und Perspektiven. Ta-
gungsbeiträge Tiroler Landesarchiv und Universität Innsbruck, Innsbruck, 17. und 18. April 2009
(Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 16), hg. v. Ronald Bacher und Richard Schober, Inns-
bruck 2010, S. 95–108, hier: S. 103. – In Paragraph 57 des Ediktes über das Gemeindewesen heißt
es: „Ohne Genehmigung der Kuratel können daher weder sie [die Gemeinden] noch ihre Vertreter
erwerben oder veräussern; – keine neuen Verbindlichkeiten auf sich nehmen; – keine bedeutenden
neuen Einrichtungen treffen; – kein Personal aufnehmen oder bevollmächtigen; – und überhaupt
keine gültigen Gemeinde-Schlüsse fassen.“ (K.B. Reg.-Bl. 1808, Nr. 61, 19. Oktober 1808, Sp.
2416.)
181 Vgl. Hamm, Bayerische Integrationspolitik, 1996, S. 114.
Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435