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328 5. Familie Pfurtscheller
Zum Zeitpunkt der Lener-Pfurtscheller-Hochzeit, sechs Jahre vor der Einführung
des Allgemeinen Bürgerlichen Gesestzbuches – ABGB – im Jahr 1812, kam in ehe-
rechtlichen Belangen das bereits angesprochene, seit 1787 gültige Josephinische Ge-
setzbuch zur Anwendung. Die Gütertrennung wurde darin als der „Normalzustand“
in einer Ehe betrachtet. Falls die Ehepartner einen anderen Güterstand in ihrer Ehe
geltend haben wollten, war eine vertragliche Regelung notwendig.62 Obwohl in Tirol
zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Gütergemeinschaft zwischen Ehepartnern alles
andere als üblich war,63 entschieden sich Michael Pfurtscheller und Anna Lener in
Punkt fünf ihres Ehepaktes für eine Variante dieses Güterstandsmodus, eine soge-
nannte Errungenschaftsgemeinschaft, eine Mischform zwischen Gütertrennung und
Gütergemeinschaft. Lediglich während der Dauer der Ehe hinzugewonnenes – „er-
rungenes“ – Vermögen sollte demnach gemeinschaftliches Vermögen sein. Das mit
einer Gütergemeinschaft verbundene finanzielle Risiko für die Frau im Falle eines
Konkurses ihres Ehemannes wurde durch die Bedingung abgeschwächt, dass, abge-
sehen von den 1000 Gulden Heiratsgut, die von Anna Lener in die Ehe eingebracht
wurden, das übrige Vermögen der Braut von einer Haftung ausgenommen bleiben
sollte.64
5.2.1.1. Stubaier Heiratskontrakte aus dem Jahr 1805 im Vergleich
Im Jahr 1805 haben lediglich drei Ehepakte Eingang in das Stubaier Gerichtspro-
tokoll gefunden: der von Maria Denifl und Christian Kindl, „Handler von der
62 Vgl. JGS Nr. 591/1786 (Patent vom 1. November 1786), 3. Hauptstück, § 97, S. 99.
63 Ellinor Forster spricht in ihrer Dissertation davon, dass die Möglichkeit der Vereinbarung einer
Gütergemeinschaft in Eheverträgen in Tirol zu Beginn des 19. Jahrhunderts „sehr spärlich in An-
spruch genommen“ worden sei. Es seien zunächst ausschließlich „einfache Beamtenehen“ gewesen,
in denen die Gütergemeinschaft zur Anwendung gekommen sei. Forster verweist auch auf einen
Heiratskontrakt zwischen einem Wirt und seiner Ehefrau aus dem Jahr 1841 als den ersten Fall
einer Gütergemeinschaft abseits des Beamtenstandes. (Vgl. Forster, Handlungsspielräume, 2007, S.
89 f.) Die im Ehepakt von Anna Lener und Michael Pfurtscheller gewählte Form des Güterstandes
kann also durchaus als eine Besonderheit für diese Zeit interpretiert werden. Das geht auch aus der
Untersuchung Lanzingers hervor. In den von ihr untersuchten Heiratskontrakten dominierte ganz
eindeutig die Gütertrennung. Die Sonderform der Gütergemeinschaft, die auch Anna Lener und
Michael Pfurtscheller wählten – die Errungenschaftsgemeinschaft – kam lediglich in Ausnahme-
fällen vor – bei Ehen zwischen Erbtöchtern und zuheiratenden Schwiegersöhnen. Bei Lener und
Pfurtscheller waren die Besitzverhältnisse jedoch nicht so. (Vgl. Lanzinger, Heiratskontrakte, 2010,
S. 223 u. 229.)
64 Vgl. Ehepakt Michael Pfurtscheller und Anna Lener, 9. September 1805, TLA, VB Stubai, 34/245,
Registerteil 2, Bl. 196 r–200 v; sowie: Forster, Handlungsspielräume, 2007, S. 85–88; sowie: Lan-
zinger, Heiratskontrakte, 2010, S. 226.
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435