Seite - 121 - in Ein Bürger unter Bauern? - Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
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3.3. 1809 121
Die erwähnten Berichte Pfurtschellers wurden lange nach 1809 verfasst.283 Der
zeitliche Faktor, der hinsichtlich der Motivation der Aufständischen eine so wichtige
Rolle spielt, kommt daher in doppelter Weise zum Tragen. Nicht nur im Verlauf der
Erhebung selbst, sondern auch in den Jahren bis Jahrzehnten zwischen den Ereig-
nissen des Jahres 1809 und dem Zeitpunkt der Niederschrift der diesbezüglichen
Berichte, konnte sich die Einstellung der Zeitgenossen zur Erhebung, konnte sich die
Sichtweise auf die Ereignisse des „Anno Neun“ verändern.284
Im Nachlass Michael Pfurtschellers finden sich jedoch auch Quellen aus dem Jahr
1809 selbst, in denen sich hinsichtlich der Frage der Motivation Pfurtschellers und
seiner Zeitgenossen einige Hinweise finden lassen. Mehrere verschiedene Aufrufe
richtete Michael Pfurtscheller in seiner Funktion als Gemeindevorsteher von Fulp-
mes an die Dorfbewohner, um sie zur Teilnahme an der bewaffneten Erhebung zu
animieren.285 Er rief sie zum Kampf für „unsere alte Landesverfassung, Religion und
National Wohlstand“286, an anderer Stelle für „Religion Fürst und Vaterland“287, wie-
derum an anderer für „Religion, Vaterland, seine eigene Persohn und Eigenthum“288.
Damit bediente er sich vor allem der damals allgemein üblichen Propagandarhetorik.
Schlagworte wie Religion, Fürst, Vaterland oder Landesverfassung haben keinerlei
speziellen Lokalbezug zum Stubaital, waren in dieser oder leicht abgeänderter Weise
in ganz Tirol gebräuchlich.289 In einem von zwei erhaltenen Aufrufen vom 29. April
1809 jedoch argumentiert Pfurtscheller in einer Art und Weise, die ganz konkreten
Bezug zur damals aktuellen Lage in der Region, besonders im Ort Fulpmes hatte:
„Fulpmes als Fabbrik ort muß am meisten gelegen seyn, der Krone Oesterreich, zum Absatz
ihrer Erzeugnüsse, Einverleibt zu verbleiben. Seid also nicht gewinsichtig sondern denket
Edel, denn es betrift bei Freyheit und Wohlstand des Vaterlandes.“290
283 Der früheste datierbare Bericht Pfurtschellers zur Geschichte des Jahres 1809 ist der an das Land-
gericht Matrei vom 18. März 1819. Die Berichte, die Pfurtscheller an Joseph Rapp schickte sind
größtenteils nicht mit Datum versehen, dürften aber wohl aus den 1830er-Jahren stammen.
284 Vgl. Schennach, Revolte, 2009, S. 240.
285 Vgl. TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP, III, Bund 2, Nr. 16, 17, 22, 46, 55.
286 Aufruf Pfurtschellers an die Fulpmer II, 29. April 1809, TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP, III, Bund
2, Nr. 17.
287 Aufruf Pfurtschellers an die Fulpmer, 14. Mai 1809, TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP, III, Bund 2,
Nr. 22; sowie: Aufruf Pfurtschellers an die Fulpmer, 18. Juni 1809, TLMF, Hist. Samml., Nachl.
MP, III, Bund 2, Nr. 46.
288 Aufruf Pfurtschellers an die Fulpmer, 20. August 1809, TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP, III, Bund
2, Nr. 55.
289 Vgl. Schennach, Revolte, 2009, S. 236.
290 Aufruf Pfurtschellers an die Fulpmer I, 29. April 1809, TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP, III, Bund
Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435