Seite - 137 - in Ein Bürger unter Bauern? - Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
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3.3. 1809 137
zerhacket, die Öfen, um hieraus das Eisen zu überkommen, ganz eingeschlagen, kurzum
sein ganzes Haus sammt Zugebäude oder Laden so verwüstet worden wäre: wodurch er
genöthiget war, sich samt seiner Famille in fremdes Quartier zu flüchten.“350
Unter anderem diente der Vorwurf, Juden hätten unter bayerischer Regierung sä-
kularisiertes Kirchengut ersteigert und entweiht, als Vorwand, diese besonders zu
drangsalieren. Diese Legitimationsrhetorik fand auch Eingang in die – vor allem äl-
tere – Historiographie. Martin Schennach schreibt es vor allem Joseph Rapp zu, diese
Argumentation in der Geschichtsschreibung zu 1809 eingeführt zu haben. In seinem
Werk „Tirol im Jahre 1809“ tendiere dieser stark dazu, „die Juden selbst für die ihnen
im April 1809 widerfahrene Unbill verantwortlich zu machen“.351
„Allerdings gab es mit Michael Pfurtscheller eine Gegenstimme, […] die die gegen
die Juden erhobenen Vorwürfe als Lügen bezeichnete“, schreibt Martin Schennach,352
und bedient sich als erster und einziger Vertreter der jüngeren Geschichtsschreibung
zu 1809 der Berichte Michael Pfurtschellers an Joseph Rapp.353 Tatsächlich zeigt Mi-
chael Pfurtscheller in seinen Berichten zu den Ereignissen des 12. April sehr deutlich
seine Missbilligung der Ausschreitungen und Plünderungen bei den Juden. Ja, er sei
sogar „erschrocken“, als er von diesen Geschehnissen erfuhr.354 Wie später Josef Hirn,
so betont jedoch auch Pfurtscheller die führende Rolle der (vor-)städtischen Unter-
schichten bei den Ausschreitungen dieses Tages:
„Die Ausplünderung der Juden zu Innsbruck – hat die Hefe des bösen Volkes von der
Kotlake in Innsbruk am 12 April veranlasst, diese reizten das Landvolk – unter den Vorge-
ben – die Juden haben Kirchensachen kauft u. misbraucht – (sie häten Ciborien […] als
Nachtgeschür gebraucht, was Lüge war) als die Balken oder Thüren aufgesprengt wahren,
so hatte diese heillose Gesindel am meisten geraubt, zudem manche Bürgerhäuser aus Per-
söhnlichkeiten u. Raubgierde bedrohet: welche Ehrlich Denkende Bauern Schirmten.“355
350 Abraham Dannhauser an Generalkommissariat des Innkreises, 4. Dezember 1810, zitiert nach: Mar-
tin Achrainer, Gemeinderat Wilhelm Dannhauser, 2009, S. 226. – Dannhauser spricht in diesem
Schreiben offensichtlich von sich selbst in der dritten Person.
351 Schennach, Revolte, 2009, S. 481.
352 Ebd., S. 483.
353 Ebd., S. 476–483.
354 Vgl. Pfurtscheller an Rapp – Nachtrag und Ergänzung zur Schilderung von 1819, o. D., TLA, Ma-
terialiensammlung Rapp, Schuber 18 e, Nr. 9.
355 Ebd.
Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435