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140 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant
Hirn in seinem Werk aufgreifen sollte: Es seien nicht die Bauern, sondern in erster
Linie das „Gesindel von der Kotlacke“ an den Exzessen beteiligt gewesen.364
Michael Pfurtscheller übte also Kritik an der Plünderung jüdischer Haushalte in-
folge der Kämpfe in und um Innsbruck im April 1809. Ihn aufgrund dieser Äuße-
rungen als unempfindlich gegen den Anfang des 19. Jahrhunderts weit verbreiteten
religiös-wirtschaftlichen Antijudaismus zu charakterisieren, wäre jedoch vorschnell.
Um in dieser Hinsicht ein valides Urteil fällen können, ist die Quellenlage zu dieser
Thematik mit Sicherheit zu dürftig. Außer seiner Verurteilung der Ausschreitungen
im April 1809 gibt Pfurtscheller in den vorhandenen Quellen nur noch ein einzi-
ges Mal Einblick in seine Einstellung gegenüber Juden. In einer Nachbemerkung
zu einem Schreiben an Joseph Rapp lassen sich ökonomisch begründete Ressenti-
ments gegenüber Juden erahnen. Pfurtscheller beschwert sich über zu hohe Abgaben
und Mauten, durch die „der kleine und Mittelstand“ beinahe erdrückt würde und
schließt seine kurze Stellungnahme mit „Dazu ist Rothschild ein Hebräer König der
Könige, welcher zu große Vortheile genüßt; Herr Gott Erleichtere u. erlöse uns von
Juden“,365 übt also Kritik an der Stellung des (jüdischen) Bankhauses Rothschild366.
Doch auch diese Bemerkung reicht keinesfalls aus, ihren Schreiber als Antijudaisten
oder gar Antisemiten zu brandmarken. Sie steht völlig isoliert da, steht weder mit
dem Schreiben, dem sie als Nachsatz angefügt wurde, noch mit Pfurtschellers übri-
gem Schrifttum in einem Zusammenhang.
364 Vgl. J. Hirn, Tirols Erhebung, 1909, S. 316. – Joseph Rapp berichtet, am folgenden Sonntag, den
16. April 1809, wären in den Kirchen von Innsbruck und in den Orten der Umgebung „die schärfs-
ten Strafpredigten“ gehalten worden, um die Menschen dazu zu bewegen, die in der vergangenen
Woche in Innsbruck von Juden und Bürgern geraubten Güter wieder zurückzubringen. „Fast alles“
sei dadurch in der Folge wiedergutgemacht worden. (Vgl. Rapp, Tirol 1809, 1852, S. 148.) Ob
jedoch wirklich etwas zurückerstattet wurde, lässt sich aus heutiger Sicht nicht mehr feststellen. In
einer Anmerkung dazu erzählt Rapp folgende Anekdote: „Ein armer Schmied aus dem Thale Stubai
trug schon folgenden Tages die schwere Eisenthüre zurück, welche er aus dem Judengewölbe im
Engelhause mitgenommen hatte.“ (Rapp, Tirol 1809, 1852, S. 194; sowie: [Joseph von Hormayr],
Geschichte Andreas Hofer’s. Sandwirths aus Passeyr, Oberanführers der Tyroler im Kriege von 1809,
Bd. 1, Leipzig 18452, S. 273.) Für diese Anekdote fehlt jedoch jeglicher Nachweis. Sie ist wohl eher,
wie auch Rapps Feststellung, „fast alles“ sei wiedergutgemacht worden, als legendenhafte Ausschmü-
ckung zu betrachten.
365 Nachbemerkung zu Begleitschreiben, beigelegt zu: Pfurtscheller an Rapp – Begleitschreiben, 20.
September 1837, TLA, Materialiensammlung Rapp, Schuber 18 e, Nr. 10. – Es handelt sich hierbei
um ein kleines Stück Papier, das Pfurtschellers „Begleitschreiben“ an Joseph Rapp beigelegt ist. Die
Handschrift ist eindeutig als die Michael Pfurtschellers zu identifizieren.
366 Vgl. Fritz Backhaus, Rothschild, in: NDB, Bd. 22, Berlin 2005, S. 129–131.
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435