Seite - 220 - in Ein Bürger unter Bauern? - Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
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220 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant
Neben der Entwaffnung der Bevölkerung wurden von bayerischer Seite auch
noch weitere Schritte unternommen, die neuerlichen Unruhen vorbeugen sollten. So
wurde – einerseits um die Menge der abzuliefernden Waffen festzustellen, anderer-
seits sicherlich auch zur Sammlung von für eine etwaige Strafverfolgung relevanten
Daten – von den einzelnen regionalen Anführern verlangt, sie sollten die Standeslis-
ten der im Rahmen des Aufstandes ausgerückten Mannschaft aushändigen. Darüber
hinaus hatten die Gemeinden Geiseln zu stellen, von deren Sicherheit die Bevölke-
rung nur ausgehen konnte, wenn sie sich entsprechend ruhig verhielt.702 Dass ent-
sprechende Forderungen wohl auch an die Gemeinden des Stubaitales gestellt wur-
den, ist aus einem Schreiben Michael Pfurtschellers an das Landgericht Innsbruck
vom 8. November 1809 ersichtlich. Darin bittet er als Ortsvorsteher von Fulpmes
um besondere Rücksicht für seine Gemeinde, die sich ohnehin von einer Fortsetzung
des Aufstandes gegen die bayerische Obrigkeit deutlich distanziere:
„Aus hiesiger Gemeinde ist niemand wegen Furcht entflohen, noch minder denen Insur-
genten nachgezogen. […]
Hiesige Bewohner erkennen den zugemittelten Friedenstraktat de dato Wien 14 8ber als
wahrhaft, und ergeben sich dem Gesetze der Sieger; sie gaben den neuerlichen Aufhet-
zungen eines Thalguter und Speckbacher703 kein Gehör – sondern betrugen sich ganz ruhig,
wie das obbemeldte Comando bezeugen könnte; Dahero bittet unterzeichnete Vorstehung
– selbe von einschickung der Standlisten und Stellung einer Geisel gnädigst befreyen zu
wollen.“704
Ob Pfurtschellers Bittgesuch erhört wurde, bleibt auf Basis der vorhandenen Quellen
unklar. Am Tag nach der Ablieferung der Waffen rückte jedenfalls, so fährt Pfurt-
scheller in seinem oben erwähnten Bericht fort, eine bayerische Infanterieabteilung
ins Stubai vor. Die Truppen wurden in den Talgemeinden einquartiert. Ihre Präsenz
sollte wohl abschrecken und eventuelle neuerliche Aufstandstendenzen im Keim er-
sticken, kommentiert Pfurtscheller das Verhalten der Soldaten vor Ort.705
702 Vgl. Schennach, Revolte, 2009, S. 580–582.
703 Wie Franz Thalguter (Vgl. Anm. 652.) ist auch Josef Speckbacher (1767–1820) aus Rinn führend
unter jenen, die auch nach dem 1. November 1809 die Waffen nicht niederlegen wollen. Nachdem
von der bayerischen Regierung ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt wird, flüchtet er 1810 nach Wien.
Erst 1813 kehrt er wieder nach Tirol zurück. (Vgl. Blaas, Josef Daney, 2005, S. 445 f.)
704 Pfurtscheller an LG Innsbruck, 8. November 1809, ediert in: Mutschlechner, Mitteilungen, 1987,
S. 92.
705 „Die Kirchenparade hielten die Königlich baierischen Truppen – sehr propper, vermutlich um denen
Tirolern zu zeugen, daß selbe noch ziemlich viel Millitair aktiv besitzen. Während sie schon Tiroler
Rekruten träumten?“ (Fragment Abhandlung 27. Oktober 1809 bis 20. Februar 1810, TLMF, Hist.
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435