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3.5. 1848 255
In Tirol wurde die Nachricht von den in der Hauptstadt erstrittenen neuen revo-
lutionären Errungenschaften unterschiedlich aufgenommen. Vor allem die städtische
Bevölkerung begrüßte die Veränderung, allen voran die liberal-konstitutionell einge-
stellte Studentenschaft sah sich zu Jubelfeiern hingerissen.850 Enttäuschung machte
sich hingegen bei großen Teilen der Landbevölkerung breit. „Konstitutionalismus“
und „Pressefreiheit“ waren „Schlagworte, die ihrer Lebenswelt fremd waren“, so Hans
Heiss und Thomas Götz in ihrer Analyse der Auswirkungen der Revolution von 1848
in Tirol.851 Man habe vielmehr auf eine Herabsetzung des Salzpreises, das Ende des
staatlichen Tabakmonopols, eine Neuregelung des Stempelgesetzes oder die Aufhe-
bung der Zollbeschränkungen zu Bayern gehofft.852 Trotz dieser „materiellen Notla-
gen“ stand „die Anhänglichkeit an Dynastie und Kaiser nirgendwo in Frage“.853 Auch
aus dem Bericht des Kreisamtes des Unterinn- und Wipptales „Ueber die Volksstim-
mung und politische Administration im Jahre 1847“, verfasst am 12. Januar 1848,
wird das deutlich. Während „die s.g. [sogenannte] Freisinnigkeit“ in den Städten
durchaus bereits Wurzeln geschlagen habe, seien „Liberalismus und Radikalismus“
auf dem Land „Mißtöne, welche entweder gar nicht gehört, oder doch ohne Anklang
überhört werden; man kümmert sich daselbst nicht um derlei Dinge“, so die Ein-
schätzung der Behörde. Beschwerden gebe es vor allem hinsichtlich des Salzpreises,
der Verzehrungssteuer, des Stempelgesetzes, der Zollschranken für Getreideimporte
aus Bayern und ähnlicher, das wirtschaftliche Auskommen betreffender Angelegen-
heiten. Der Großteil der Unzufriedenen sei jedoch nicht „böswillig“, lediglich einige
wenige bedürften besonderer polizeilicher Beobachtung.854
Neben der sich hier abzeichnenden sozialen Bruchlinie wurde nun in der Folge
auch für Tirol die der Nation – beziehungsweise Region – bedeutend. Heiss und Götz
sprechen in diesem Zusammenhang Tirol sogar eine Musterrolle „für die österreich-
typische ‚Regionalisierung der Revolutionsbewegungen‘“ zu.855 Das Bekanntwerden
der Ereignisse von Wien stellte im zum Kaiserstaat gehörenden Königreich Lom-
bardo-Venetien die Initialzündung zu einer eigenen Revolution dar. Massenproteste
führten zunächst zur Entmachtung der kaiserlichen Beamten und zur Auflösung der
850 Vgl. Heiss/Götz, Rand der Revolution, 1998, S. 64; sowie besonders anschaulich: M. Egger, „Für
Gott, Kaiser und Vaterland zu Stehen oder zu Fallen …“, 2012, S. 45–49.
851 Vgl. Heiss/Götz, Rand der Revolution, 1998, S. 67.
852 Vgl. ebd., S. 68.
853 Götz, Bürgertum und Liberalismus, 2001, S. 122.
854 Volksstimmung im Kreis Unterinn- und Wipptal 1847, 12. Januar 1848, TLA, Jüng. Gub., Ge-
heime Präsidialakten, Serie I, Sign. X, (Fasz. 5a), Fasz. 3884. – Vgl. dazu auch: Götz, Bürgertum und
Liberalismus, 2001, S. 122 f.
855 Heiss/Götz, Rand der Revolution, 1998, S. 55.
Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435