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262 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant
fahren und Ähnliches mehr – von den „Gerichtsuntergebenen“ durchaus begrüßt. Ja
mehr noch, es gab, so von Guggenberg, den „allgemeinen Wunsch“, auch die „Provin-
zial-oesterreichische[n]“ – damit bezieht sich von Guggenberg wohl auf den konstitu-
ierenden Reichstag in Wien,880 dem laut kaiserlicher Proklamation vom 16. Mai 1848
ab Ende Juni die endgültige Ausgestaltung der Verfassung übertragen war – und die
„deutsche Reichstagsversammlung“ – hier dürfte wohl die seit 18. Mai 1848 in Frank-
furt tagende Nationalversammlung, mit dem Ziel, sich auf eine Verfassung für einen
deutschen Nationalstaat zu einigen,881 gemeint sein – mögen „günstig ausfallen“.882
Unklar bleibt aus von Guggenbergs Bericht allerdings, was von „seinen“ Gerichtsun-
tergebenen in diesen Zusammenhängen als „günstig“ erachtet wurde. Offensichtlich
erscheint indes, dass die auf verschiedenen Ebenen geführte Verfassungsdebatte ent-
gegen der oben angeregten Annahme, diese sei der Lebenswelt der Landbevölkerung
fremd gewesen,883 sehr wohl auch im Stubaital thematisiert wurde.
Auf die unterschiedlichen Kommunikationskanäle, über die Neuigkeiten des tur-
bulenten Frühjahres 1848 Verbreitung fanden, ebenso wie auf das offenbare Interesse
zumindest einiger Empfänger weisen auch die Schreiben von Michael Pfurtschellers
Sohn Johann an dessen Bruder Franz vom 20. und 21. Mai 1848 hin: So sorgte am
20. das von „einem Postillion“ verbreitete Gerücht, der Kaiser sei vor revolutionären
Ausschreitungen aus Wien geflohen und am Vorabend in Innsbruck eingetroffen, für
Beunruhigung bei Johann Pfurtscheller. Falls es tatsächlich so sei, dass der Regent
vor einem neuerlichen Aufstand geflohen sei, befürchte er, so „kommt die Republick
aufs Tapet und ein Bürger Krieg ist sehr zu befürchten“.884 Bereits am folgenden Tag
kann Johann Pfurtscheller dann mit detaillierteren Informationen zur kaiserlichen
Flucht aufwarten:
„Man weiß genau nicht warum er [der Kaiser] weg ist, er ist in Eile fort, denn in Linz hat er
Geld geliehen, sie haben nicht ein mal Waesche die Gutscher [Kutscher] nicht einmal einen
Mantel – man erzählt er seie in 3 offenen Waegen spazieren nach Schoenbrunn gefahren,
allein anstatt in Schoenbrunn anzukehren seie es im Gallop weiter auf die erste Post – man
880 Vgl. PGS Nr. 65/1848 (Proklamation vom 16. Mai 1848), S. 188 f.
881 Vgl. Mazohl-Wallnig, 1848 aus europäischer Sicht, 2000, S. 23; sowie: Dieter Langewiesche, Revo-
lution in Deutschland. Verfassungsstaat – Nationalstaat – Gesellschaftsreform, in: Europa 1848. Re-
volution und Reform (Politik und Gesellschaftsgeschichte 48), hg. v. Dieter Dowe, Heinz-Gerhard
Haupt u. Dieter Langewiesche, Bonn 1998, S. 167–195, hier: S. 171 f.; sowie: Heiss/Götz, Rand der
Revolution, 1998, S. 109.
882 Vgl. Abschrift LG Mieders an KA Schwaz, 29. Mai 1848, Fasz. 56, 1848, Abt. XVI.
883 Vgl. Heiss/Götz, Rand der Revolution, 1998, S. 67.
884 Vgl. Johann Pfurtscheller an Franz Pfurtscheller, 20. Mai 1848, TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP,
IV, Bund 1, Nr. 59.
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435