Seite - 263 - in Ein Bürger unter Bauern? - Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
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3.5. 1848 263
hat ihm am 15t. [15. Mai] die Unterschrift abgenöthigt daß in Wien nur Militaer von
der Nationalgarde geduldet werde, daß das Wahlgesetz ohne Unterschied sich auf jeden
erstrecke der das Alter hat, mehr weiß man bis nun nicht – kurz Unordnungen eine nach
der anderen, die Studenten spielen in Wien den Meister – wehe ihnen wenn es die Bürger
erfahren daß der Kaiser fort ist – man meint bis nun immer noch aus Furcht ferneren Miß-
handlungen ausgesetzt zu sein seie die Ursache […]“885
Johann Pfurtscheller war also offenbar über die Zusammenhänge der Ereignisse die-
ser Tage informiert. Er befürchtete eine Eskalation der in ein bürgerlich-liberal-kon-
stitutionell und ein republikanisch-demokratisch gesinntes Lager gespaltenen Revo-
lution886 – wobei er ersterer Partei deutlich mehr Sympathie entgegenbrachte. Fünf
Tage nach der Proklamation der Änderung der Wahlordnung zur Reichstagswahl
hatte er zumindest gerüchteweise von dieser Kenntnis.887 Eine Interpretation der Ein-
stellung des Johann Pfurtscheller gegenüber den Ereignissen, von denen er berichtet,
auf Grundlage dieser Quellen wäre zwar verlockend, führt jedoch unweigerlich in
den Bereich der Spekulation. Immerhin erscheint es legitim, Johann Pfurtscheller
eine antirepublikanische Grundtendenz zu unterstellen, ihn im Konflikt zwischen
republikanischen „Studenten“ und kaisertreuen „Bürgern“, den er selbst beschreibt,
auf der Seite Letzterer zu sehen. Dieser Schluss liegt auch angesichts der in der Li-
teratur zum Revolutionsjahr 1848 beschriebenen Ausdifferenzierung der Revolution
in liberal-konstitutionelles Bürgertum und radikal-demokratische Studenten, Klein-
bürger, Arbeiter, Dienstboten und noch andere mehr, nahe. Die Indizien hinsichtlich
der Position des Johann Pfurtscheller, des im regionalen Vergleich mit deutlichem
Abstand höchstbesteuerten888 Co-Inhabers eines Eisenwarenverlagshandels889, weisen
deutlich in eine Richtung. War Johann Pfurtscheller also „ein Liberaler“? Es wird sich
in weiterer Folge noch zeigen, dass auch diese vermeintlich offensichtliche Deutung
885 Johann Pfurtscheller an Franz Pfurtscheller, 21. Mai 1848, TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP, IV,
Bund 1, Nr. 84.
886 „Der 15. Mai spaltete die Revolution“, so schreibt auch Helmut Rumpler. Liberale hätten sich ab
diesem Zeitpunkt als „monarchistisch-konstitutionell“, und damit in Opposition zu demokra-
tisch-republikanischen Bestrebungen verstanden. Die Trennlinie zwischen beiden Lagern war „in
erster Linie eine soziale“, eine zwischen „besitzender Klasse“ und „aufstrebenden Schichten“, zwi-
schen oben und unten. (Vgl. Rumpler, Eine Chance, 2005, S. 280–282.)
887 Vgl. PGS Nr. 65/1848 (Proklamation vom 16. Mai 1848), S. 188 f.
888 Vgl. Abschrift Zusammenstellung Höchstbesteuerte des LG Mieders, 22. Februar 1850, TLA, Ak-
tenserie LG Mieders, Fasz. 58, 1849–50, Abt. III.
889 Johann Pfurtscheller führte gemeinsam mit seinem Bruder Franz seit 1844 die Geschäfte. (Vgl.
Vermögensübergabe Michael Pfurtscheller – Johann und Franz Pfurtscheller, 30./31. Oktober 1844,
TLA, VB Stubai, 34/318, Bl. 692–712.)
Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435