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264 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant
nicht wirklich haltbar ist. Eine Ausweitung dieser Interpretation auf „die Pfurtschel-
lers“, geschweige denn „die Stubaier“, wäre noch problematischer.
In Wien eskalierte Anfang Oktober die Situation abermals. Revolutionäre Kräfte
hatten sich am 6. Oktober gegen den Abmarsch kaiserlicher Truppen nach Ungarn
gestellt. Diese sollten die Armee des Banus von Kroatien, Josip Jelačić Bužimski,
in deren Kampf um Unabhängigkeit vom Königreich Ungarn, von dem man sich
aufseiten der kaiserlichen Regierung entscheidende Vorteile gegen die ungarische
Revolution erwartete, unterstützen.890 Teile der Truppen meuterten, es kam zu Stra-
ßenkämpfen. Bald war ganz Wien unter der Kontrolle der Aufständischen, Kriegs-
minister Theodor Graf Baillet von Latour wurde gelyncht, der Kaiser flüchtete mit
seinem Hof nach Olmütz.891 Nach dieser neuerlichen Zuspitzung der Ereignisse in
Wien wurde nun Landrichter von Guggenberg am 13. Oktober 1848 – wie schon im
Mai wiederum auf Anweisung des Landespräsidiums in Innsbruck – vom Kreisamt in
Schwaz aufgefordert, erneut über die Stimmungslage in „seinem“ Landgerichtsbezirk
Bericht zu erstatten. Auch Maßnahmen gegen ein mögliches Übergreifen der Revo-
lution auf Tirol wurden im Zuge dessen angeordnet:
„Das h. Landes-Präsidium hat am 11. ds.M. Z. 4800 Folgendes erlassen, wornach der Herr
Landrichter eingeladen werden in Ihrem Bezirke zur Aufrechterhaltung von gesetzlicher
Ordnung mit Umsicht alles Nöthige vorzukehren, und das Kreisamt binnen 8 Tagen von
der Volksstimmung in Kenntniß zu setzen.
‚In der beiliegenden Kundmachung und ihren Beilagen erhalten der Herr Gubernialrath
[gemeint ist Kreishauptmann Anton von Gasteiger]892 die ämtliche Darstellung der jüngsten
beklagenswerthen Ereignisse in der Residenzstadt Wien und deren unmittelbaren Folgen.893
890 Zur Einführung in den kroatisch-ungarischen Konflikt 1848 vgl.: Wolfgang Häusler, Der kroa-
tisch-ungarische Konflikt von 1848 und die Krise der Habsburgermonarchie, in: 1848 in Europa.
Verlauf, politische Programme, Folgen und Wirkungen (Dokumente und Schriften der Europäi-
schen Akademie Otzenhausen 87), hg. v. Heiner Timmermann, Berlin 1999, S. 209–230. – Für ei-
nen Überblick der ungarischen Revolution, aber auch der Nationalitätenproblematik im Königreich
Ungarn vgl.: Rumpler, Eine Chance, 2005, S. 296–304. – Josip Jelačić Bužimski (1801–1859) war
im März 1848 zum Banus ernannt worden. (Vgl. Wurzbach, Lexikon, Bd. 10, 1863, S. 140–152.)
891 Vgl. Rumpler, Eine Chance, 2005, S. 285 f.; sowie: Heiss/Götz, Rand der Revolution, 1998, S. 153
f. – Theodor Graf Baillet von Latour (1780–1848) machte als Offizier in österreichischen Diensten
Karriere. Zum Kriegsminister war er erst 1848 ernannt worden. (Vgl. Wurzbach, Lexikon, Bd. 1,
1856, S. 125 f.)
892 Vgl. Anm. 754.
893 Diese gedruckte Kundmachung inklusive ihrer Beilagen ist in den Akten des Landgerichts Mieders
ebenfalls erhalten. (Vgl. Kundmachung des Landespräsidiums, 11. Oktober 1848, TLA, Aktenserie
LG Mieders, Fasz. 56, 1848, Abt. XVI.)
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435