Seite - 402 - in Ein Bürger unter Bauern? - Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
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402 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft
sich im Folgenden zeigen wird. Dabei geht aus den Quellen nicht hervor, welche Pro-
duzenten nun tatsächlich „Pfurtschellers Schmiede“ waren und in welchem Ausmaß
dies der Fall war. Die Umstände, welche nun unabhängige, selbstständige Schmie-
demeister – „in ihren Oertlichen gebräuchen ganz freye ungebundene leute, welche
ihre Erzeugnisse nur für eigene Rechnung machen und willkührlich verkaufen mö-
gen!“153, so Pfurtscheller selbst – in die Abhängigkeit von einem Verleger brachten,
sind vielfältig und haben sowohl eine regionale als auch eine europäische Dimension.
Die bereits mehrfach thematisierte Überschwemmungskatastrophe in Fulpmes 1807
ist hier genauso als Schlagwort zu nennen wie die zunehmende Mechanisierung der
Produktion in konkurrierenden Regionen und die damit verbundene Verbilligung
der Erzeugnisse sowie die bereits angeschnittenen wirtschaftlichen Auswirkungen der
Koalitionskriege seit 1792. Im unmittelbaren lokalen Zusammenhang lässt sich je-
doch – analog zu Hans-Ulrich Wehlers universeller Analyse, wonach sich die Produ-
zenten aus einer zunehmenden Zahl armer Handwerker und aus Landbevölkerung,
„die aus Not und wegen des Saisoncharakters ihrer Arbeit einen Nebenerwerb such-
te“,154 rekrutierten – am Ende eine Ursache, ein Grundstein für die Abhängigkeit von
Verleger Pfurtscheller feststellen: die Armut der Schmiede.
Infolge dieser Armut waren viele Schmiede außer Stande, sich die für ihre Arbeit
notwendigen Rohmaterialien und auch noch die Lebensmittel für sich und ihre Fa-
milien zu leisten. In solchen Situationen sprang oftmals Michael Pfurtscheller ein,
er streckte Bargeld, Rohmaterialien und Lebensmittel vor. Dieses „Vorlegen“ bezie-
hungsweise „-strecken“ sei schließlich auch der etymologische Stamm des Wortes
„Verleger“, so Wehler.155 Die gerichtliche Protokollierung einer ganzen Reihe von
Schuldeingeständnissen von Stubaier Schmieden anlässlich eines Gerichtstages in
Fulpmes am 18. August 1813 zeugt von Michael Pfurtschellers Rolle als Kreditge-
ber beziehungsweise „Vorstrecker“. Er hatte als Gläubiger wohl seine Schuldner –
auch eine Schmiedswitwe war darunter – dazu angehalten, ihre Schulden bei ihm
gerichtlich festhalten zu lassen. Gleich sechzehn verschiedene Schuldeingeständnisse
gegenüber Michael Pfurtscheller – der vom Protokollführer übrigens durchweg als
„Waaren-Verleger“ bezeichnet wird – in einer Höhe zwischen 50 und 400 Gulden
für Rohmaterial- und Lebensmittellieferungen sowie Bardarlehen wurden allein an
diesem Tag ins landgerichtliche Protokoll aufgenommen. Insgesamt hatte Pfurtschel-
153 Michael Pfurtscheller zu Fabrikation und Handel im Stubai, o. D. [1810–1814], TMLF, Hist.
Samml., Schachtel „Abhandlungen. Berichte, Informationen, „Abschilderung“: Bauernrichter Rit-
ten, „Vorstellungen“, Notizen u. Ä.“, Abt. „Pfurtscheller: Wirtschaftliche Situation d. Stubaitals
(1822/1825)“, Nr. 11.
154 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1, 1987, S. 96.
155 Ebd., S. 372.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435