Seite - 30 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Bild der Seite - 30 -
Text der Seite - 30 -
30 K.(u.)k. »going postcolonial«
gen relevante Kulturkonzept diskutiert, bevor seine Anwendung im Zuge des
»cultural turn« in der Translationswissenschaft eingegangen wird.
Das dieser These zugrunde liegende Kulturkonzept geht davon aus, dass
Kulturen nicht als geschlossene Systeme existieren und demnach – etwa beim
Übersetzen – nicht als solche übertragen werden, sie können, wie das Moment
des Abbildens oder Porträtierens, lediglich als eine vorübergehende Bestands
aufnahme, die sich nicht festschreiben lässt, gesehen werden. Mit dieser Auffas
sung von Kultur wird essenzialistischen Vorstellungen entgegengewirkt, die den
jeweils wesenhaften, mehrheitlich unveränderlichen und damit ahistorischen
Charakter von Kultur betonen und Kulturen auf der Basis von Dichotomien wie
»Fremdes versus Eigenes« oder »Herrschende versus Beherrschte« operieren se
hen. Im Rahmen eines solchen Kulturkonzepts werden ebenso essenzialistische
Kategorien wie etwa Kindheit, Generation, Region, Biografie etc. als »Erfin
dung« aufgedeckt und damit auch die kulturelle Konstruiertheit der modernen
Welt erkannt (Sollors 1989 : X). Eine essenzialistische Sicht leistet der grund
sätzlichen Trennung und auch mehr oder weniger klaren Unterscheidbarkeit
von Kulturen Vorschub und verstellt damit gleichzeitig den Blick auf die jeder
Kultur immanenten vielseitigen diskursiven Geschehnisse und Repräsentatio
nen. Wenn davon ausgegangen wird, dass die wechselseitigen Übersetzungspro
zesse im »Kontakt zwischen Kulturen« im jetzigen globalen Zeitalter wie auch
in historischer Sicht für die jeweilige Kulturformation mitverantwortlich sind,
also grundsätzlich die Zirkulation symbolischer Zeichen im Spiel ist, so kann
Kultur vorübergehend mit der Arbeitsdefinition belegt werden, sie sei ein Ort
des Widerstreits zwischen Repräsentationen von Subjekten, von Geschichte,
von Weltgeschehen (vgl. Bronfen/Marius 1997 : 11), die wiederum aus einem
Zusammenwirken vielschichtiger Begegnungen entstanden sind.
Das Offene und Prozesshafte von Kulturen wird vor allem von Homi Bhabha
betont, dem indisch englischen Kultur und Literaturwissenschaftler, der die
Produktion von Symbolen und Bedeutungszuschreibungen zur Konstitution
von Kultur ins Zentrum seiner Betrachtungen stellt und daraus folgernd Kultu
ren als permanent stattfindende Praktiken beschreibt : »All cultures are symbol
forming and subject constituting, interpellative practices« (Bhabha 1990 : 210).
Diese Praktiken bringen demnach permanent, mit einem steten Potenzial zu
Veränderungen, neue Bedeutungen hervor und sind für die Schaffung und Auf
nahme neuer Symbole offen. Auf der (erfolglosen) Suche nach dem Authenti
schen, Echten in Kulturen hingegen begegnen uns Subjekte, die vordergrün
dig, in Traditionen und gesellschaftlichen Konventionen festgebunden, quasi
ahistorisch in ihnen zuerkannten Rollen agieren. Homi Bhabha geht es darum,
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437