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Übersetzung als Beitrag zur Konstruktion von Kulturen 41
gungen dieses Kontaktes ausgehandelt werden : Damit wird offensichtlich, dass
es kulturelle Ursprünglichkeit nicht geben kann.
Diese Erkenntnis manifestiert sich in unterschiedlichen Disziplinen zu ver
schiedenen Zeiten. Die von E. von Glasersfeld initiierte und durch interdiszip
linären Dialog herausgeformte Konzeption des »Radikalen Konstruktivismus«
stellt eine der ersten und auch besonders weitreichenden Versuche explizit kon
struktivistischen Denkens dar. Siegfried J. Schmidt postuliert diese Konzeption
als »neues Paradigma im interdisziplinären Diskurs« und untersucht ihre An
wendung in verschiedenen Forschungsfeldern wie Managementwissenschaft,
Psychologie oder allgemeine Kommunikationswissenschaft. Für übersetzungs
wissenschaftliche Kontexte unmittelbar anzuwenden ist seine Erkenntnis,
dass kommunizierende Subjekte erst durch ihre Interaktion »Informationen«
erzeugen und dadurch den Kommunikationsmitteln, z. B. Texten, Bedeutung
zuordnen. Daraus folgernd ist laut Schmidt nicht davon auszugehen, dass zwei
RezipientInnen dasselbe Kommunikat (= kognitive Konstrukte im Sinne von
Bedeutungen) zugeschrieben werden kann, da weder die kommunizierenden
Subjekte noch ihre Lebenssituationen identische sind (Schmidt 1987 : 64f.).
Durch diese Erkenntnisse werden einmal mehr essenzialistische Denkansätze
infrage gestellt, die von der Re Konstruktion von Bedeutung ausgehen und im
translatorischen Zusammenhang den symmetrischen, neutralen Austausch zwi
schen Kulturen postuliert sehen wollen, der die Anwendung von universell ak
zeptierten Übersetzungsgesetzen gewährleistet.14
Des Weiteren sei an das einflussreiche Werk von Hobsbawm/Ranger erin
nert, die mit ihrer Denkfigur der »invention of tradition« (1983) die Erfindung
und Verbreitung von modernen kulturellen Symbolen im Namen alter nationa
ler und ethnischer Traditionen vorantreiben und damit den Konstruktcharakter
von Kulturen freilegen. Der Begriff der Erfindung hat in die Beschreibung, die
Analyse und in die Kritik zahlreicher Phänomene Eingang gefunden, wie »Er
findung des Selbst«, »Erfindung des Fremden«, »Erfindung der Nation« u.v.a.,
und ist damit zu einem zentralen Ausdruck für das Verständnis von Gesell
schaften und Lebenswelten geworden. Freilich hat Erfindung damit eine heu
ristische Denkdimension angenommen, die sich am deutlichsten in Benedict
Andersons Nationsbegriff niederschlägt : »[Nation] ist eine vorgestellte politi
sche Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän« (Anderson 1998 :
14). Diese »Vorstellung« geht in den Köpfen der Mitglieder einer Gemeinschaft
vor sich, die sich auch im kleinen Umfeld niemals alle kennen oder einander
14 Vgl. zur Diskussion essenzialistischen Denkens in der Translationswissenschaft Arrojo (1998).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437